Wochenbericht mit besuchten Einrichtungen, Aktivitäten, Diskussionen und Themen

Originalbericht des Studierendenprojekts in Potsdam / gedruckt im Juli 2013 an der FH Potsdam

(Katrin Binschus-Wiedemann, Saskia Fischer, Nina Pawlik, Lennart Roth)

Sehr geehrte Leserinnen und Leser, aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit haben wir uns statt für einen inhaltlichen für einen chronologisch gegliederten Bericht entschieden, auch um die Möglichkeit zu nut­zen, eigene Schwerpunkte, die sich im Ablauf der Woche ergeben haben, besser beschreiben zu können. Dadurch werden Änderungen, die sich im Vergleich zum ursprünglich geplanten Ablauf ergeben haben, evtl. auch besser verständlich. Das vollständige Wochenprogramm finden Sie dreisprachig im Anhang.

2.1 Wochenbericht

Sonntag 1.12.

Der erste Tag der Projektwoche war als Anreisetag vorgesehen und wies daher keine größeren Programmpunkte auf.

Die französischen und polnischen Gäste wurden von jeweils 2 Projektmitgliedern am Flughafen bzw. am Bahnhof abgeholt. Dieses persönliche Abholen sollte den Gästen aus dem Ausland ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermitteln. Der gemeinsame Weg zum Hostel wurde genutzt um neue Teilnehmer kennenzulernen sowie alte Bekanntschaften aufzufrischen. Weiterhin konnte auf der Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ein erster Eindruck von der Stadt Berlin gewonnen wer­ den. Die ausländischen Gäste bewerteten das persönliche Abholen sehr positiv.

Untergebracht wurden die jugendlichen Teilnehmenden aus allen drei Ländern im „Regenbogen-Hos­tel“ in der Lausitzer Str. 22 in Berlin-Kreuzberg. Die Fachkräfte und einige Mitglieder der Projektgrup­-pe wurden aus Platzgründen in nahegelegenen Ferienwohnungen untergebracht.

Für das „Regenbogen-Hostel“ haben wir uns aus verschiedenen Gründen entschieden. Neben der zentralen Lage in Berlin gab vor allem der geschichtliche Hintergrund den Ausschlag zur Buchung1. Das Hostel gehört zum Komplex der „Regenbogenfabrik“. Die „Regenbogenfabrik“ ist eine unabhängige, solidarische Organisation mit mehreren unterschiedlichen Projekten. Die „Regenbogenfabrik“ arbeitet nach den Grundsätzen der „solidarischen Ökonomie“2. Im Zuge der „Instandbesetzerbewegung“ wur­de die ehemalige Holz-und Chemiefabrik im Jahr 1981 besetzt und sukzessive zu einem Nachbar­schaftszentrum mit Angeboten im kreativ-handwerklichen und soziokulturellen Bereich für Kinder, Jugendliche und Erwachsene umgebaut. Dabei wurden die Gebäude schrittweise modernisiert und der Innenhof begrünt. Später entstand auch der Gäste- sowie der Bildungs- und Beschäftigungsbereich. Die rechtliche Lage der „Regenbogenfabrik“ war bis zum Jahr 2011 prekär – sie verbesserte sich erst, nach­ dem ein Erbpachtvertrag mit 30 Jahren Laufzeit abgeschlossen wurde. Die Hausbesetzerszene mit ih­ ren bis heute spürbaren politischen, sozialen und kulturellen Wirkungen auf (West-)Berlin sollte mit der Wahl des Wohnorts den Gästen näher gebracht werden.

Da die polnische Gästegruppe erst mehrere Stunden nach der französischen Gruppe in Berlin eintraf wurde für die französische Gruppe eine kurze Erkundungstour durch Berlin angeboten. Nach einem Imbiss in einem arabischen Restaurant in Kreuzberg wurden Reste der Berliner Mauer an der East-Si­de-Gallery besichtigt.

Nachdem die polnische Gruppe eingetroffen war, wurde gemeinsam im Hostel zu Abend gegessen, wo­bei das „Chili con Carne“ auf gemischten Anklang stieß. Anschließend wurde das Wochenprogramm vorgestellt und kurz besprochen. Weiterhin gab es ein Kennenlernspiel, bei dem alle Projektteilneh­menden in einem großen Kreis saßen, ihren Namen zusammen laut sagten und dazu eine Geste oder Bewegung machten, die selber bestimmten konnten. Reihum mussten dann die Namen und Gesten der anderen Teilnehmenden wiederholt werden. Dabei stieg der Schwierigkeitsgrad natürlich immer wei­ter an, je mehr Teilnehmende bereits ihren Namen genannt hatten.

Das Spiel sollte dazu dienen, die Stimmung in der Gruppe aufzulockern und die Namen der anderen Gruppenmitglieder kennenzulernen. Auf Grund der engen Raumsituation, der großen Gruppe und der Erschöpfung vieler Gäste von der langen Reise schien das Spiel etwas zu lang zu sein. Abschließend wurden noch Beutel mit Informationsmaterial, wie z. B. einem Ablaufplan der Woche, Stadtplänen, Notfalladressen, touristischen Informationen und Informationsbroschüren von Berlin und Potsdam, verteilt. Danach konnten alle die Zimmer beziehen und ihren wohlverdienten Schlaf genießen.

Montag 2.12.

Der Montag war der erste richtige Programmtag.

Der Tag begann mit einem gemeinsamen Frühstück in der Regenbogenfabrik und einer kurzen kom­munikativen Morgenrunde.

Am Vormittag wurde den Gästen ein Einblick in die Arbeit des Projektpartners GfbM gegeben. Dies beinhaltete einen Empfang in den GfbM-Einrichtungen in den Laskerhöfen und den Besuch von ver­schiedenen Ausbildungseinrichtungen der GfbM in zwei Gruppen. Am Nachmittag wurden in Klein­gruppen drei verschiedene soziale und kulturelle Einrichtungen in Kreuzberg und Neukölln besucht. Den Abschluss des Tages bildete eine historisch orientierte Stadtführung mit einem gemieteten Bus.

Anschließend ging es mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum GfbM-Standort an der Laskerstraße. Man merkte schnell, dass für viele ausländische Gäste das hektische Treiben in der Berliner U-Bahn zur Stoßzeit echtes Neuland war. Zwei Teilnehmende gingen schon beim ersten Umsteigen „verloren“, konnten aber zum Glück schnell wieder „eingesammelt“ werden.

In den Laskerhöfen wurde die Gruppe durch Herrn Louis Kaufmann, Mitbegründer und Mitglied des Vorstands der GfbM, begrüßt. Er gab den Teilnehmenden einen kurzen Überblick über die Geschichte und die heutigen Aufgabenfelder der GfbM.3

Weiterhin erläuterte Herr Kaufmann die Besonderheiten des dualen Ausbildungssystems in Deutschland und die Rolle, die Organisationen wie die GfbM in diesem spielen.

Danach gab Susanne Pieckert, die Hausleiterin der Laskerhöfe, einen kurzen Überblick über die Aktivitäten der GfbM an diesem Standort.

Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Vorbereitung auf externe Schulabschlüsse und dem Erlernen praktischer Fähigkeiten für verschiedene Berufe. Als besonders wichtigen Bereich betonte sie dabei das Erlernen der Kernkompetenz „Deutsche Sprache“, orientiert an beruflichen und fachlichen Inhal­ ten. Dieser Teilbereich hat besondere Relevanz für Menschen mit Migrationshintergrund, wobei auch deutsche Muttersprachler_innen von Schulungen zum Erwerb von Fachsprachkompetenz profi­tie­ren. Sie verwies dabei auf die Zusammenarbeit mit dem „Sven –Walter –Institut“4.

Anschließend wurde die Gruppe aufgeteilt. Während die Hälfte der Teilnehmenden in den Laskerhöfen blieb und dort die Malerwerkstatt und den Bauhof besichtigte, machte sich die andere Hälfte mit dem Bus auf den Weg nach Kreuzberg.

Dort wurden in der Graefestraße eine KfZ-Werkstatt und eine Tischlerei der GfbM besucht.

In der KfZ-Werkstatt wurden die Gäste von einem Meister und sechs Lehrlingen begrüßt, die der Gruppe einen Einblick in ihren Alltag an ihrer Ausbildungsalltag gaben. Die Atmosphäre war sehr offen und kommunikativ, wobei beide Seiten viele Fragen hatten.

Diskutiert wurde z.B: über das deutsche Ausbildungssystem, die Rolle des Meisters in der Ausbildung sowie über spätere Berufswünsche und -pläne. Die Lehrlinge und der Meister waren auch sehr an den Projekteilnehmenden interessiert und wollten wissen, was genau sie in Berlin machten und wie ihr Alltag in ihren Ländern aussieht. Die Sprachbarriere stellte kein Problem dar. Es wurde entweder auf Englisch kommuniziert oder Teilnehmende übersetzten spontan in die jeweiligen Landessprachen.

Danach ging es ein Stockwerk höher in die Tischlerei. Auch dort fand sich eine größere Gruppe Auszubildender, die bereitwillig Auskunft über ihre Ausbildung und ihr Leben gaben. Auch diese wirkten sehr interessiert an ihren ausländischen Gästen. Weiterhin war eine Sozialarbeiterin der GfbM vor Ort, die ihre Aufgaben im Rahmen der Ausbildung darstellte. Sie beschrieb ihre Rolle als persönliche Unterstützerin der Jugendlichen bei der Erreichung der Ausbildungsziele.

Wie schon in der KfZ-Werkstatt kam schnell eine lebhafte Diskussion zwischen den Auszubildenden sowie dem Fachpersonal und unsere Gästen zu Stande. Die Themen waren ähnlich, wobei zusätzlich noch über die Rolle der Sozialarbeiter_innen und das Spannungsfeld von Sanktionen und Unterstützung während der Ausbildung diskutiert wurde. Am Rande tauschten sich Auszubildende und Teilnehmende noch über eigene Erfahrungen mit dem Thema Migration aus, da viele von ihnen einen Migrationshintergrund aufweisen. Hier ergaben sich Ähnlichkeiten im Bereich der persönlichen Lebensführung, aber Unterschiede in der Unterstützung im Arbeits- und Ausbildungssystem. Durch die Gemeinsamkeit wurde schnell eine Ebene geschaffen, auf der man ein bisschen vertraut miteinander reden konnte.

Leider war die Zeit auf Grund des langen Anfahrtsweges mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und des vollen Tagesprogramms sehr knapp bemessen, viele Teilnehmende äußerten Bedauern, dass sie nicht mehr Zeit zum Austausch mit den Auszubildenden hatten.

Der andere Teil der Gruppe blieb auf dem Gelände an der Laskerstraße und besuchte die dortigen GfbM Einrichtungen. Auf diesem Gelände der GfbM befinden sich verschiedene Praxisprojekte, Werkstätten und Arbeitsräume sowie ein kleiner Garten mit einem Umwelt- und Naturprojekt, dem Bürgergarten. Alle gemeinsam bilden die sog. „Laskerhöfe“, benannt nach der anliegenden Straße.

Das Bildungszentrum Laskerhöfe ist ein Modellprojekt der GfbM, das unter einem Dach offene Freizeit- und Projektarbeit des Jugendclubs E-LOK mit Aus- und Weiterbildung in zahlreichen Berufsfeldern vereint. Auf dem Gelände wurden die zwei Werkstätten, die wir besuchten, nach ökologischen Gesichtspunkten errichtet bzw. weitere Räume modernisiert (immer in Zusammenarbeit mit den Jugendlichen); dort finden die unterschiedlichsten handwerklich orientierten Lehrgänge statt.

Die Arbeit in den Werkstätten der Laskerhöfe hat mehrere Ziele, z.B. die Vorbereitung zum externen ersten oder erweiterten Schulabschluss, das Erlernen erster grundlegender praktischer Fähigkeiten für Berufe mit handwerklichem Schwerpunkt und viele soziale und persönliche Kompetenzen, wie Teamfähigkeit, Pünktlichkeit, Durchhaltevermögen, Konfliktlösungspotenziale und aktives Selbstmanagement, Erkunden der eigenen Ressourcen, (Wieder-)Herstellen der Arbeitsfähigkeit für den 1. Arbeitsmarkt bzw. Herstellen der Ausbildungsreife und Unterstützung in besonderen Lebenslagen, die eine Aufnahme oder Fortführung einer geplanten Ausbildung entgegenstehen.

Das mittel- und langfristige Ziel aller Maßnahmen ist immer die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt oder in eine reguläre oder unterstützte / begleitete duale Berufsausbildung. Es werden Jugendliche mit und ohne Schulabschluss in die bestehenden Angebote aufgenommen.

Das Stufenmodell der GfbM zur Berufsvorbereitung und Berufseinstiegsbegleitung zum Übergang von der Schule in den Beruf gliedert sich in die Teile:

  • Projektarbeit im Bereich Bau, Holz, Garten und Gastronomie zur Berufsorientierung. Möglichkeit zum Nachholen des Schulabschlusses, Herstellen der Berufsreife. Erster qualifizierender Abschluss5. Die Dauer beträgt 10 Monate.
  • Die handwerkliche Ausbildung in den Übungswerkstätten der GfbM für schwer bzw. mehrfach benachteiligte Jugendliche
  • Und die Verbundausbildung / unterstützte Ausbildung in Kooperation mit kleineren Unternehmen für benachteiligte Jugendliche, z.B: in den Berufen: Kaufleute für Bürokommunikation, Maurer, Maler, Zimmerer, Trockenbaumontage u.a. Durch das Stufenmodell wird sichergestellt, dass bei den Jugendlichen für jede Kompetenzstufe eine angepasste Bildung und Begleitung durch die GfbM ermöglicht wird. Diese flexible und praxisnahe Qualifizierung wird ergänzt durch Sprachförderungsangebote, eine sozialpädagogische Begleitung und eine Lern- und Sozialberatung.

Bei dem Besuch besichtigte die Kleingruppe die beiden o.g. Werkstätten für die Projektarbeit im Bereich Maler sowie die Werkshalle für Maurer und Trockenbau. In diesem Bereich geht es für die Jugendlichen um ein erstes Kennenlernen der Tätigkeitsfelder dieser Berufe („was macht ein Maler überhaupt genau?“), ein Heranführen an kleine, selbständige Praxisprojekte und das Vermitteln erster Basiskenntnisse und Fähigkeiten in diesen Berufen. Die Jugendlichen haben oft bereits eine Maßnahmen- und Ämterkarriere mit Schulverweigerung / -abbruch, Kriminalität, familiären Problematiken sowie Sprachprobleme (hoher Migrantenanteil!) und Lernschwierigkeiten hinter sich.

In der Malerwerkstatt wurden zwei Jugendliche von einem Meister betreut. Beide hatten eine praxisnahe Zeichenaufgabe (Vergrößern und Wiedergabe eines Musters per Hand) zu lösen, weitere Arbeitsproben wie z.B. Farbmuster an einer Probewand wurden der Gruppe durch einen Jugendlichen erklärt und gezeigt. In der Maurerwerkstatt war eine größere Gruppe von Jugendlichen damit beschäftigt, verschiedene Techniken bei der Herstellung einer aufgemauerten Wand zu erlernen. Dabei wurden keine Fertigteilelemente und nur wenige Maschinen genutzt, so dass der gesamte Prozess, vom richtigen Mischungsverhältnis des Mörtels über Ausmessen der Wand mit einem Lot bis zum eigentlichen Mauern mit Kelle und Mörtel geübt wurde.

In den beiden Werkstätten hatte die Gruppe Gelegenheit, sowohl mit den pädagogischen Betreuern und den Handwerksmeistern als auch kurz mit den Jugendlichen selber zu sprechen.

In einem gemeinsamen Reflexionsgespräch in den Räumen des Jugendclubs auf dem Gelände wurde der Besuch ausgewertet und die besonderen Merkmale des Konzeptes der GfbM zusammengetragen. Diese Zusammefassung wurde auf einem Flipchart festgehalten, desweiteren wurden als Arbeitsaufgabe von den Teilnehmenden Zeichnungen und Diagramme angefertigt, die die unterschiedlichen Berufsbilder in den Ländern im Baubereich anhand eine Neubau-Hauses illustrieren sollten.

Folgende Merkmale sind der Gruppe beim Besuch der Werkstätten der GfbM besonders aufgefallen:

  • Sehr guter Betreuungsschlüssel – wenige Jugendliche in den Gruppen
  • Intensive, individuelle und kompetenzorientierte Betreuung der Jugendlichen – „sie werden da abgeholt, wo sie stehen“, keine einheitlichen Lehr- und Lernziele
  • Die Vielfalt der spezialisierten Ausbildungsberufe mit einem eigenen Profil in Deutschland, die sich für die ausländischen Gäste bereits in dieser ersten Stufe der Ausbildung, nämlich der Berufsvorbereitung bzw. der Berufseinstiegsbegleitung angedeutet hat, was die deutschen Teilnehmer wiederum in dieser Form gar nicht so wahrgenommen haben.
  • Intensives, beziehungsorientiertes, persönliches und wenig autoritatives Verhältnis der Ausbilder zu den Jugendlichen, offene und freundliche Lernatmosphäre bei gleichzeitiger klarer Grenzziehung und wenigen, aber deutlichen Regeln
  • Akzeptanz der Jugendlichen durch Ausbilder: „Du machst das, was Du kannst“ bei gleichzeitiger Förderung der Ressourcen: „Das, was Du kannst, können wir gemeinsam noch ergänzen“
  • Abbau bestehender Benachteiligungen wie Sprachdefizite, Gewöhnung an Tagesstrukturen und vor allem Lernen an der sogenannten informellen Alltagsbildung wie Umgangsformen
  • Bei der Förderung und Bildung wird von den Jugendlichen ausgegangen, nicht allein vom Arbeitsmarkt, obwohl der natürlich im Blick behalten wird.
  • Sehr beeindruckt zeigte sich die Gruppe davon, dass den Jugendlichen ein Experimentier- und Freiraum zugestanden wird, in dem sie verschiedene Tätigkeiten und damit auch Berufe kennenlernen und ausprobieren dürfen, ohne sich gleich fest entscheiden zu müssen, den weiteren Weg ihrer Berufslaufbahn planen und entscheiden sie selber, kein Lehrer oder Ausbilder.
  • Gleichzeitig wurde von einzelnen Teilnehmenden aus Polen Kritik genau an diesem Modell (dem Ausprobieren) geübt, weil dadurch ein künstlicher Schonraum entstehen würde, der in der nicht ausreichend auf den realen Arbeitsmarkt vorbereitet. Die Jugendlichen könnten ohne Konsequenzen zu fürchten auch Dinge nicht zu Ende führen. Die intensive Einzelbetreuung der Jugendlichen spiegele außerdem nicht die Verhältnisse in einem „echten“ Betrieb wieder, wo die Jugendlichen wesentlich selbständiger lernen und arbeiten müssten und vor allem auch unter Zeit- und Erfolgsdruck stehen würden. Dieser Kritik kann aber guten Gewissens mit den (noch relativ arbeitsmarktfernen) Zielen dieser ersten Stufe der Berufsvorbereitung (s.o.) begegnet werden und vor allem auch mit den zahlreichen Möglichkeiten für die Jugendlichen, im Rahmen dieser ersten Stufen und auch verkürzten Praktika Erfahrungen in Betrieben zu sammeln. Die GfbM arbeitet mit zahlreichen kleinen und mittleren Unternehmen zusammen und bereits in der Erprobungsphase können die Jugendlichen erste Erfahrungen mit dem „realen“ Berufsleben gewinnen. Dies wird pädagogisch und berufsfachlich durch die GfbM begleitet und vor allem auch gemeinsam mit den Jugendlichen reflektiert.

Als die Gruppe aus der Graefestraße wieder zurück war, wurde gemeinsam im “Las Café”6 zu Mittag gegessen. Das Mittagessen wurde von Jugendlichen, die sich gerade bei der GfbM in einem Ausbildungslehrgang im Gastronomiebereich befanden, zubereitet und serviert. Es wurde sehr viel Wert auf fachlich korrektes Eindecken der Tische und das serviceorientierte Servieren gelegt. Der Ausbilder war während des Eindeckens, Servierens und auch dem Essen der Gruppe anwesend und gab den Jugendlichen noch (sehr dezente) Hinweise . Das Lob der Gäste über das überaus gelungene Essen wurde vor allem von den Jugendlichen sehr erfreut entgegengenommen. Im Anschluss präsentierten beide Gruppen ihre Beobachtungen aus den Praxisbesuchen am Vormittag im Plenum und sprachen kurz darüber miteinander.

Nach einer kurzen Pause wurde die Gruppe wieder aufgeteilt. Drei Kleingruppen besuchten den „LernLaden Neukölln7“ , den Jugendclub „Blueberry Inn“8 in Neukölln und den „Kunstraum Bethanien“9 in Kreuzberg. Leider gab es bei der Einteilung der Teilnehmenden in die einzelnen Gruppen vereinzelt Unstimmigkeiten, diese konnten aber später ausgeräumt werden.

Der LernLaden Neukölln, in Trägerschaft der gsub mbH 10 – Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung – ist ein seit dem 28.2.2003 bestehendes Projekt innerhalb des LernNetzes Berlin-Brandenburg. Der LernLaden befindet sich in der Karl-Marx-Straße 131 und damit mitten in Neukölln, zwischen einer Vielzahl von Geschäften und Gastronomiebetrieben. Er wird zu 80% vom Senat Berlin (inklusive ESF-Mittel) und zu 20% durch die Arbeitsagentur finanziert. Der LernLaden Neukölln führt seine Kundinnen und Kunden in persönlicher Beratung und mit technischer Unterstützung zu den individuell geeigneten Bildungsangeboten. Dieses Konzept ist in Deutschland einmalig.

Der LernLaden wurde ausgewählt, um den Projektteilnehmenden einen Einblick in die Ausbildungs- und Bildungslandschaft Berlin zu geben und um an einem Projekt zu zeigen, wie man Menschen mit besonderen Problemlagen zu einer beruflichen Ausbildung hinführen kann.

Die meisten Ratsuchenden sind zwischen 25 und 40 Jahre alt, sehr viele haben noch keine berufliche Qualifizierung abgeschlossen. Diese werden als sogenannte Geringqualifizierte häufig vom Jobcenter zum Lernladen geschickt. Das unterscheidet den Lernladen von der Mehrheit der bestehenden Bildungsberatungseinrichtungen, die überwiegend von gut qualifizierten Erwerbspersonen, vor allem von Akademikern, aufgesucht werden. Für diese Zielgruppe ist es besonders wichtig, dass sie die Angebote anonym in Anspruch nehmen können. Der Frauen- und Männeranteil ist etwa gleich hoch, was für Beratungsprojekte ebenfalls recht ungewöhnlich ist.

Wichtigste Beratungsformen und Beratungsfelder sind die informative Beratung, die situative Beratung (im Anschluss an die informative Beratung) und die biografieorientierte Beratung (zur Aufarbeitung von bildungs- und berufsrelevanten Aspekten der jeweiligen Lebensgeschichte), die Beratung über Arbeitsmarktchancen, die Bewerbungsberatung, das Bildungscoaching (im Prozess des eigenen Herausfindens von passenden und präferierten Bildungsangeboten) sowie die Beratung von beschäftigungssuchenden SeniorInnen in Bezug auf Jobangebote und jobbezogene Weiterbildungsmöglichkeiten.

Außerdem wird eine sogenannte Kompetenzanalyse angeboten: Das ist eine Dokumentation der jeweiligien Ergebnisse anhand eines „Profilpasses“ und eines „Talentepasses”. Ausgehend von den identifizierten persönlichen Stärken und Qualifikationen können dann die jeweils passenden Arbeitgeber gesucht werden. Die methodische Grundlage dazu ist die Arbeit nach dem Life-Work-Planning-Konzept von Richard Bolles und John Webb11.

Problematisch ist dabei, dass die eingesetzten Assessmentverfahren schon ein bestimmtes Level an Reflexionsfähigkeit voraussetzen, das viele der Ratsuchenden nicht beziehungsweise noch nicht haben.

Die Berater haben alle für die Beratungstätigkeit qualifizierende, akademische Berufsabschlüsse, vorwiegend mit einem Hochschulabschluss. Sie haben umfangreiche Lebens- und Berufserfahrungen und zusätzlich noch eine abgeschlossene Weiterbildung zum „Bildungsberater“. Die Berater haben unterschiedliche, sich gegenseitig ergänzende Arbeitsschwerpunkte.

Die Gruppe wurde durch Frau Susann Kühnapfel, einem Mitglied des Beratungsteams, empfangen. Sie erklärte den Besuchern das Konzept des LernLadens und dessen Besonderheiten.

Wichtig ist dabei das Konzept der „Niedrigschwelligkeit”: Durch seine Lage, Aussehen und Öffnungszeiten hat der LernLaden einen offenen Charakter, der es den Kundinnen und Kunden ermöglichen soll, „en passant“ und angstfrei die vielfältigen Angebote wahrnehmen zu können. Die Kunden können sich im LernLaden kostenlos, trägerunabhängig und anonym über berufliche Aus- und Weiterbildungsangebote informieren und beraten lassen. Weiterhin besteht eine Zusammenarbeit mit dem benachbarten „Job-Point“, der vom selben Träger betrieben wird. Diese Freiwilligkeit stieß vor allem bei den polnischen und französischen Teilnehmenden auf viel Wohlwollen, weil hier ein erheblicher Unterschiede zu dem vorwiegend schulisch orientierten Beratungsangebot in ihren Heimatländern deutlich wurde.

Die zweite Gruppe besuchte die Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtung „Bluebery Inn“ in Berlin-Neukölln. Diese Einrichtung wurde ausgewählt, da in Polen bereits von einigen Teilnehmenden eine Einrichtung mit ähnlicher Zielgruppe besucht wurde. Daher erschien es sinnvoll, über einen Besuch in dieser Einrichtung einen Einblick in die Arbeit von Sozialarbeiter_innen in Berlin zu geben und so einen Vergleich zu ermöglichen.

Das „Blueberry Inn“ ist eine Einrichtung der Jugendarbeit entsprechend dem §11 SGBVIII und wird betrieben von „Outreach – Mobile Jugendarbeit“. Das Blueberry Inn wendet sich an Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 15 Jahren im sogenannten Flughafenkiez in Berlin-Neukölln.

Der Flughafenkiez ist ein soziostrukturell schwacher Stadtteil, der häufig als „Problemkiez“ bezeichnet wird. Der Stadtteil ist geprägt durch hohe Arbeitslosigkeit und einen stark überdurchschnittlichen Anteil an Einwohner_innen mit Migrationshintergrund. Dies spiegelt sich u.a. auch darin wieder, dass ca. 90% der Kinder und Jugendlichen im Blueberry einen Migrationshintergrund aufweisen.

Das Blueberry Inn leistet offene Jugendarbeit. Kinder und Jugendliche können jeden Tag ohne Anmeldung und kostenfrei die zahlreichen Freizeitangebote wahrnehmen, wie zum Beispiel Minigolf und Tischtennis, Brett- und Kartenspiele, PC mit Internet, Playstation 3 und Wii, Kicker und Carrom (ein sportliches Brettspiel) oder sich Bälle, Springseile und andere Außenspielgeräte ausleihen. Weiterhin gibt es jeden Tag regelmäßig wiederkehrende Angebote, wie zum Beispiel: Jungs- und Mädchentage, Fußball, Rap- und Streetdanceworkshops.

Die Mitarbeiter_innen sind dabei Ansprechpartner_in, wenn Kinder, Jugendliche und Erwachsene Hilfe und Unterstützung suchen. Diese werden zum Beispiel bei Konflikten in der Schule, auf „der Straße“, mit der Polizei oder in der Familie oder Unterstüzung benötigt oder bei der Suche nach Ausbildungs- und Praktikumsplätzen, bei behördlichen Schreiben oder Schulproblemen.

Die Gruppe wurde im Blueberry Inn begrüßt von den Mitarbeitern des Trägers “Outreach”, Jens Schielmann und Rahim Yildirim. Diese gaben einen Einblick in ihre Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und standen anschließend für Fragen zur Verfügung.

Es kam ein reger Austausch zwischen den deutschen Fachkräften und den Projektteilnehmenden zustande. Besonders interessiert waren die Teilnehmenden an der sozialen Situation im Stadtteil und an dem Thema Kinderschutz. Es wurde angeregt darüber diskutiert, an welchem Punkt Sozialarbeiter_innen Fälle von Vernachlässigung den Behörden melden müssen und welche anderen Möglichkeiten der Einflussnahme ihnen zur Verfügung stehen.

Die dritte Kleingruppe besuchte am Montagnachmittag das Künstlerhaus Bethanienplatz (kurz: Bethanien genannt)und darin die Ausstellung im “Kunstraum”.

Hier war dem Vorbereitungsteam vor allem wichtig, ein für Berlin typisches selbstverwaltetes Projekt vorzustellen, das im Bereich Kunst und Kultur viele Arbeitsplätze geschaffen hat.

Das Bethanien vereint über 25 selbstverwaltete kulturelle, künstlerische und soziale Einrichtungen und ist damit ein Entwurf für Eigeninitiative und Kreativität bei der Suche nach Lebens- und Arbeitsorten. Das Bethanien spiegelt durch seine spannende Politik-, Gesellschafts-, Architektur- und Nutzungsgeschichte einen Teil Berlins wider.

Z.B. befand sich die Apotheke von Theodor Fontane in diesem Haus, es wurde als kirchliches Krankenhaus und militärisches Lazarett in verschiedenen militärischen Auseinandersetzungen genutzt, es gab Widerstand gegen die geplante Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten, dann die Abrissandrohung und denkmalpflegerische Unterschutzstellung Anfang der 1970er Jahre, die Einrichtung eines Wohnprojektes für Jugendliche, den Aufbau eines Theaters und von produzierenden Werkstätten und Ausstellungsräumen in den 1980er und 90er Jahre, Auszug großer öffentlicher Mieter (Ämter) und damit finanzielle Schwierigkeiten Mitte 2005, danach ein erfolgreiches Bürgerbegehren für den Erhalt und gegen eine kommerzielle Nutzung des Hauses. Gleichzeitig ist es ein Musterbeispiel für den kreativen Umgang mit Räumen, Nutzungen und Besitzstrukturen in der Stadt.

Nach einer kurzen Einführung zur Geschichte des Hauses und einem Rundgang besuchte die Gruppe im Bethanien eine Ausstellung von Text- und Fotomontagen über die Zukunft von Europa in der Welt („In Search of Europe“), einem Thema, das bei einem trinationalen Projekt wie der Projektwoche natürlich von großem Interesse ist. In der Ausstellung wurde die These diskutiert, dass „der Tag kommen wird, an dem die Völker der Welt Europa vergessen haben werden“12.

Aus dem Ausstellungstext: „Die Arbeiten gehen aus vielfältigen Perspektiven der Frage nach, inwiefern Europa heute noch ein Maßstab ist, an dem sich Menschen in anderen Teilen der Welt messen. War es jemals das Vorbild, als das es sich gerne sieht? Die Ausstellung zeichnet ein differenziertes Bild einer Welt, die nicht einfach zweigeteilt, sondern von gegenseitigen Verflechtungen, Blicken und Beziehungen geprägt ist.“

Künstler aus Afrika und dem Mittleren Osten setzten sich mit Mitteln wie Fotografie, Bildender Kunst und verschiedenen Installationen mit dem Bild von Europa und den Abhängigkeiten von Europa auseinander.

Vor allem für manche der französischen Teilnehmenden, deren Familien aus anderen Kontinenten stammten, hätte es viele Anknüpfungspunkte und Thesen zur Diskussion gegeben, dafür wären aber ausführlichere Erklärungen zur Ausstellung für alle Teilnehmenden einschließlich Übersetzungen für die französische und polnische Gruppe nötig gewesen. Dies ließ der enge Zeit- und Organisationsrahmen leider nicht zu. Der Ort der Ausstellung aber und deren Aufmachung stieß auf große ästhetisches Interesse, genauso wie das Projekt „Bethanien“ an sich.

Zum Abendessen trafen sich wieder alle Gäste in der Regenbogenfabrik gemeinsam in der großen Gruppe. Die geplante Auswertungsrunde fiel auf Grund von Zeitknappheit sehr kurz aus. Es wurden das erste Mal die informellen Fragebögen mit den thematischen Festsetzungen für die Woche verteilt (s.a.: Freitag) und von den Teilnehmenden teils schriftlich, teil zeichnerisch ausgefüllt.

Anschließend gab es für alle Gäste eine Busrundfahrt durch Berlin, die von einer englischsprachigen Reiseleitung begleitet wurde. Der Schwerpunkt der Rundfahrt war eine kurze Darstellung der historischen, wirtschaftlichen und vor allem sozialen Entwicklung Berlins, das “Nebeneinander von Ku-Damm, Unter den Linden und Neukölln”. Die Reiseleiterin gab viele wichtige Informationen zu den Themen Teilung Deutschlands, Sozial- und Wirtschaftsstruktur von Berlin im 20. Jahrhundert und heute und einen kurzen Überblick über die Entwicklung Ostberlins. Die Rundfahrt führte aber auch an allen wichtigen Wahrzeichen und Sehenswürdigkeiten wie zum Beispiel dem Alexanderplatz, dem Brandenburger Tor, dem Reichstag und KaDeWe vorbei.Am Schloss Charlottenburg wurde eine längere Pause eingelegt, um dort einem kurzen Bläserkonzert auf dem Weihnachtsmarkt zuhören zu können und mit dem Besuch eines typisch deutschen Weihnachtsmarkt einen ganz kleinen Einblick in deutsche Tradition und Kultur zu geben.

Die Rundfahrt und der Besuch des Weihnachtsmarkts verschaffte den Teilnehmenden einen guten Überblick über die Stadt Berlin und einen ersten Eindruck von deutschen Weihnachtsbräuchen.

Allerdings war der Geräuschpegel während der Fahrt im Bus sehr hoch, viele Teilnehmende hatten einen großen Kommunikations-und Fragebedarf, dadurch konnten die Informationen der Reiseleiterin z.T. nicht richtig angenommen werden. Die Sprachbarriere war ein weiteres Problem, da nicht alle Teilnehmenden Englisch so gut verstanden, dass sie den Ausführungen hätten folgen können. Dies führt zu kleineren Unstimmigkeiten mit dem Teil der Gruppe, dem die Informationen zur Stadt wichtiger waren. Das Bedürfnis nach Austausch mit den anderen Gruppenmitgliedern war sicher auch durch das ansonsten sehr enge Tagesprogramm erklären, das wenig Raum für individuelle Kommunikation bot.. Aus Rückmeldungen von Teilnehmenden erfuhr das Team aber, dass am Ende die Informationsfahrt doch ein insgesamt positives Erlebnis gewesen zu sein schien.

Dienstag 3.12.:

Der Dienstag war der erste Tag in Potsdam. Er sollte dazu dienen, den Kooperationspartner Verein für Arbeitsmarktintegration und Berufsförderung e.V. (AIB)13 und seine Arbeit kennenzulernen.

Nach dem Frühstück in der Regenbogenfabrik begann der Tag mit einer kurzen kommunikativen Morgenrunde.Für diese Morgenrunden hatte das Team in der Vorbereitungsphase verschiedene Methoden ausgearbeitet, sie sollte zum Aufwärmen, besser kennenlernen und vor allem zur Einstimmung auf das Tagesprogramm dienen. An den folgenden Tag fiel diese Runde dann aber aus bzw. fand nur mit ei­nem Teil der Gruppe statt, weil die Zeitpläne aufgrund von Wetter- und Programmänderungen viele Umplanungen erforderlich machten.

Nach der Runde fuhr die Gruppe mit U-Bahn und Regionalexpress nach Pots­dam. Wie schon am Vor­tag war die Benutzung so vieler öffentlicher Verkehrsmittel über so weite Strecken für einige Teilneh­men­ de Neuland, wobei die diesmal zurückgelegten Entfernungen noch größer wa­ren. Trotzdem ver­lief die Fahrt nach Potsdam problemlos.

Schon am Hauptbahnhof wurde die Gruppe geteilt. Während die größere Gruppe zum Hauptsitz der AIB fuhr weiterreiste, ging die kleinere Gruppe direkt zum ersten Praxisbesuch bei der Firma SNT. Lei­der war ein gemeinsamer Beginn in den Räumen der AiB nicht möglich, weil die Termine bei der Firma SNT ungünstig lagen.

Kurze Informationen zur Kooperation von SNT und AiB

Das Unternehmen bietet Dienstleistungen für die schriftliche, telefonische und internetbasierte ver­triebs- und serviceorientierte Kundenkommunikation an. Viele große deutsche Unternehmen nutzen die Angebotspalette von SNT, darunter viele Mobilfunkanbieter, öffentliche Einrichtungen wie Bun­desministerien, die Deutsche Bahn und einige Banken und große Online-Händler.

SNT arbeitet seit mehreren Jahren als Praxispartner mit dem Verein für Arbeitsmarktintegration und Berufsförderung e.V. AiB in Potsdam zusammen. Jugendliche und junge Erwachsene haben mit Hilfe der Vermittlung des AiB die Möglichkeit zu kurzen und längeren Praktika bei SNT, die sozialpädago­gisch begleitet werden. Gleichzeitig gibt es die Möglichkeit einer regulären dualen Berufsausbildung im Betrieb und der Berufsschule, die bei benachteiligten Jugendlichen von Mitarbeitern der AiB unter­ stützt werden kann, z.B. mit Einzelberatungen, der Vermittlung von Stützangeboten im unterrichtli­chen Bereich.

Im Rahmen des Projektes Sprungfeder 2, das aus Fördermitteln des Regional­ budgets V bezuschusst wird, „berät und betreut der AIB e.V. junge Frauen und Männer bei der Einglie­derung in eine Ausbil­dung und/oder Arbeit innerhalb des Projektes. Die Teilnehmenden werden bei der Berufsfindung, Stel­lensuche und beim Abbau von Vermittlungshemmnissen unterstützt.“14

Hilfen für benachteiligte Jugendliche durch ausbildungsbegleitende Hilfen

Die ausbildungsbegleitenden Hilfen bei „normaler Ausbildung im Betrieb“ sorgen dafür, dass wesent­lich weniger Jugendliche eine begonnene Ausbildung abbrechen, dass fehlende Qualifikationen wie Deutsch- oder Mathematikkenntnisse nachgeholt werden können und dass die Jugendlichen die Chan­ce haben, mit einem qualifizierten Abschlusszeugnis nach der Ausbildung eine Tätigkeit auf dem ers­ten Arbeitsmarkt anzunehmen.

Bei SNT besteht die Möglichkeit zu folgenden Ausbildungsmöglichkeiten: Kaufmann/-frau für Dialog­marketing, Servicekräfte für Dialogmarketing und Mediengestalter/-in für Digital+Print. In Zusam­menarbeit mit SNT konnten bereits mehrere Jugendliche im Unternehmen eine Arbeitsplatz erlangen bzw. eine Ausbildung aufnehmen.

Die Zielgruppe für die Kooperation zwischen der AiB und SNT sind vor allem junge Teilnehmende von ca. 16 bis max. 22 Jahren. Der Jugendliche soll im Rahmen des begleiteten Praktikums den Betrieb ken­nenlernen, aber der Betrieb soll auch den Teilnehmenden kennenlernen, um im Anschluss mit ihm ge­meinsam zu überlegen, ob und ggf. welche Form der weiteren Ausbildung oder Beschäftigung für ihn in Frage kom­men könnte. Viele der Jugendlichen haben ein oder mehrere sogenannte Vermittlungs- bzw. Bildungs­hemmnisse, die sie daran hindert, eine Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt aufzuneh­men oder eine klassische Berufsausbildung zu beginnen. Häufige Probleme der Teilnehmenden sind z.B. fehlende for­ male Kenntnisse wie fehlende oder schlechte Schulabschlüsse oder auch gesundheitliche Probleme wie Drogenmissbrauch und psychische Erkrankungen. Oft gibt es einen großen Bera­tungsbedarf in Dingen des alltäg­lichen Lebens, wie Mietsachen, Verträge, Umgang mit Schulden, Haus­ haltsführung, Probleme mit Be­ ziehungen oder der Familie, geringem oder gar keinem familiären Rück­halt (oft Ursache und Folge zu­ gleich und gleichzeitig eine häufige Ursache für den Abbruch von Schule und Ausbildung). Diese oft unterschätzten Beratungsbedarfe kann ein regulärer Ausbildungsbe­trieb im Rahmen einer dualen Ausbildung alleine nicht abdecken, diese führen aber sehr oft zu schlechten Leis­tungen oder gar Abbrüchen der Berufsausbildungen oder Arbeitstätigkeiten.

Ablauf des Besuches

Die Projektgruppe wurde von insgesamt drei Mitarbeitern der SNT sehr freundlich empfangen und mit einer Präsentation, die von unseren studentischen Dolmetscherkräften konse­kutiv in drei Sprachen übersetzt wurde über die wirtschaftlichen und sozialen Eckpunkte des Betriebes informiert. Ein beson­derer Schwerpunkt bei der Präsentation wurde auf die Möglichkeiten der Aus- und Weiterbildung ge­legt. Vielen Teilnehmenden wurde hier das erste Mal deutlich, dass eine Arbeit in einem klassischen Call-Center eine Vielzahl an Facetten bietet, die weit über das reine „Bestellungen aufnehmen am Tele­fon“ hinausgeht. Eine große Portion an Fachkenntnissen, Kundenorientierung, Menschenkenntnis, EDV-Wissen und vielen anderen Kompetenzen ist nötig, um Anfragen fachlich gut und für den Kunden zufriedenstellend beantworten zu können. Auch wurde deutlich, dass es sich (wenn man von der Be­zahlung und von der gewünschten Qualifikation ausgeht) nicht um “Billig-Jobs” handelt, sondern dass hier im Telekommunikationssektor ein von vielen unterschätzter neuer Ausbildungs- und Berufszweig mit einem großen Arbeitskräftebedarf und guten Aufstiegschancen entstanden ist.

Es wurde ebenso deutlich, dass die Auszubildenden und Angestellten allein durch die bloße Größe des Arbeitgebers (über 3000 Mitarbeiter weltweit) viele Vorzüge eines regulären mittelständischen Betriebes nutzen können, wie eine eine intensive Einarbeitung, Ausbildung und interne Weiterbildun­gen; interne und externe Qualifizierungsmöglichkeiten mit guten Aufstiegschancen; eine eigene betriebli­che Altersvorsorge und Programm zur aktiven Gesundheitsvorsorge sowie die innerbetriebliche Förde­rung von Benachteiligten und Schwerbehinderten. Diese Vorzüge stehen ebenso im Widerspruch zum Image vom „Billig-Job“ wie die o.g. finanziellen und Kompetenz-Argumente. Die von der AiB ver­ mit­telten und betreuten Jugendlichen bekommen so die vielleicht die einmalige Chance, aus dem Kreislauf der mangelnden Qualifikation und den prekären Beschäftigungsverhältnissen bzw. den ALG-I­I-Leis­tungen auszubrechen und sich ein wirtschaftlich unabhängiges Leben aufzubauen.

Bei einem anschließenden Rundgang durch den Betrieb wurde die Vielfalt der Arbeitsplätze deutlich. Diese reichten von Trainingsplätzen, wo in kurzen Schulungen erste Basiskompetenzen vermittelt werden über die Arbeitsplätze der Servicekräfte bis hin zu den Facharbeitsplätzen, die bestimmte Kun­denanfragen im Bereich des Rechnungswesens oder technisch aufwendige Problemlösungen bearbeite­ten. Dies pas­sierte jeweils mündlich oder / und schriftlich (per online-Vorgang) und z.T. in sehr kom­plexen Vorgängen.

Den Mitarbeitern von SNT war wichtig, dass es für alle Kompetenzstufen und Leistungsbereiche der Ju­gendlichen Einsatzmöglichkeiten im Betrieb gibt und sie bei bestehendem Qualifikationswunsch dann entsprechend geschult werden könnten. Auch Teilzeitarbeitsplätze bei gesundheitlichen Einschrän­kungen seien möglich, die dem Leistungsvermögen des Bewerbers anpassbar sind.

Durch die internen Schulungs- und Qualifikationsmöglichkeiten können auch Jugendliche ohne wei­terführende Abschlüsse und ohne Ausbildungswunsch einen sicheren Arbeitsplatz mit einem regulä­ren Arbeitsvertrag erhalten. Diese können auch nach Abschluss des Vertrages bis zu 6 Monate von der AiB betreut werden, um auftretende Probleme und Beratungsbedarfe im Trialog zu lösen. Diese enge Zusammenarbeit zwischen Ausbildungsbetrieb/Arbeitgeber, benachteiligtem Jugendlichen und sozial­pädagogischen Fachkräften sichert den langfristigen Erfolg der Maßnahmen.

Am Hauptsitz der AIB in Potsdam-Waldstadt wurde die Gruppe von der Geschäftsfüherin der AIB, Frau Hölzig, empfangen. Diese begrüßte die Teilnehmenden und gab einen Überblick über die Geschichte und die verschiedenen Arbeitsfelder der AIB.

Der AIB e.V. ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein mit Hauptsitz in Potsdam und weiteren Niederlassungen in Brandenburg an der Havel und Teltow. Er ist Mitglied des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und dessen Bildungswerk. Seit 17 Jahren arbeitet der Verein im Bereich Jugendberufshilfe. Ein wichtiges Projekt ist dabei das Projekt „Sprungfeder“. Es beschäftigt sich mit Jugendlichen, die nach Verlassen der Schule „ins Loch“ fallen, weil sie nach der Schule keine Lehrstelle finden und weil nicht selbstverständlich ein Berufsvorbereitendes Jahr oder überbetriebliche bzw. außerbetriebliche Ausbil­dungen zur Verfügung stehen. Als ALG-II-Bezieher sind sie dann auf kurze Maßnahmen, die das Job­center anbietet, angewiesen. Die Mitarbeitenden der AIB haben einen anderen Ansatz: “Abbrecher brauchen Langfris­tigkeit”

Sprungfeder“ bietet ein Modell an, das sich mit der E2C (École de la deuxième chance15) in Frank­reich vergleichen lässt: Den Teilnehmenden wird Allgemeinbildung vermittelt mit dem Schwerpunkt Deutsch und Mathematik. Dies soll nicht nur schulische Versäumnisse aufholen, sondern einen klaren Wettbewerbsnachteil auf dem Arbeitsmarkt verringern. Die Jugendlichen sollen außerdem durch Kompetenztrainings im Bereich Soziales und Umgangsformen fit für eine Ausbildung gemacht werden. Danach kommen Praktika in regionalen Betrieben, dabei soll der Betrieb dieTeilnehmenden kennenlernen, gleichzeitig sollen die Teilnehmenden den Betrieb kennenlernen. Dann erfolgt mög­lichst eine Vermittlung in Ausbildung oder Arbeit, wobei der Verein Partner bleibt und für ca. 6 Mona­te eine Nachbetreuung anbietet, die ein Coaching, Beratung und ggf. Weitervermittlung an andere Hilfeorganisationen anbietet, wenn Probleme auftauchen.

Teilnehmende können während ihrer Zeit im Projekt eigene Schwerpunkte entwickeln (zum Beispiel einen Stadt­führer Potsdam; ein Theaterprojekt und andere), sie haben z.T. sogar die Möglichkeit, ein Praktikum im Ausland zu machen.

Beispielhaft wurde von einem Theaterprojekt zur Weihnachtszeit berichtet, bei dem die Jugendlichen das Stück „Frau Holle“ in verschieden Kindereinrichtungen aufführten. Die Recherche und Durchfüh­rung wurden von den Teilnehmenden selbständig durchgeführt. Die Teilnehmenden erlernen durch Organisation und Durchführung des Theaterspielens Ent­scheidungskompetenz und Gestalterische Kompetenzen und verbessern ihre Kommunikationsfähigkeiten.

Im Anschluss an dieses Projekt entschieden sich die Hälfte der Teilnehmenden, einen so­zialen oder pädagogischen Beruf anzustreben.

Jeder Teilnehmende hat im Projekt „Sprungfeder“einen Pädagogen oder eine Pädagogin als Ansprech­partner_in, Gruppenbil­dung wird geübt und Bewerbungshilfe angeboten.

Die Teil­ nehmenden kommen aufgrund eigener Initiative zum Projekt oder werden über Jugendamt, Gerichtshilfe, Job­center und andere Träger von Maßnahmen vermittelt. Sie erhalten je­weils einen 6-Monatsvertrag. Finanziell leben sie von ALG II bzw. Ausbildungsbeihilfe und betriebli­cher Lehrlingsvergütung sowie ggf. weiteren Hilfen wie Wohngeld. Die Sozialpädago­gen und Sozialpädagoginnen werden aus Mitteln des “Regionalbudgets” im Rahmen des arbeitspolitischen Programms des Lan­des Brandenburg finanziert

Ungefähr 50% der Teilnehmenden am Projekt „Sprungfeder“ erhalten nach der 6monatigen Dauer einen Ausbildungsplatz bei einem der Partnerbetriebe. Die andere Hälfte durchläuft das Projekt ein weiteres Mal.

Weiterhin berichtete Frau Hölzig vom über das abgeschlossene Projekt “Vielfalt Erfahren – Regional Arbeiten” (VERA). In diesem Projekt sammelten Jugendliche mit und ohne Berufserfahrung in einem dreimonatigen be­trieblichen Praktikum in Wien erste Auslandserfahrungen. Insgesamt 60 Teilnehmende, darunter eini­ge Alleinerziehende, benachteiligte junge Menschen und junge Erwachsene waren daran beteiligt.

Im Laufe des Projekts bekamen fanden 54% der Teilnehmenden eine Arbeitsstelle und 20% blieben so­ gar dauerhaft in Wien.

Ein ehemaliger Teilnehmer des Projekts VERA berichtete anschließend von seinen persönlichen Erfah­rungen. Er arbeitete in Wien als Hausmeister und beschrieb seine Zeit dort als sehr schön und lehr­reich. Aller­dings gab er an, dass er auf Grund von Heimweh nach Potsdam zurückkehrte. Heute nimmt er am Pro­jekt „Sprungfeder“ teil.

In der anschließenden Auswertungsdiskussion verglichen die französischen und polnischen Teilneh-men­den diese Projektkonzeption mit den entsprechenden Vorgaben und Förderbedingungen in ihren Ländern. Die polnische Gruppe unterstrich, dass es dort für über 22-jährige keine Berufsausbildung mehr gäbe und keine sozialpädagogische Begleitung derselben.

Weiterhin wurde über die Unterschiede zwischen der außer- und überbetrieblichen und der betrieblichen Ausbildung diskutiert. Es wurde die Meinung geäußert, eine „normale“ Ausbildung im Rahmen einer betrieblichen Lehre wäre besser angesehen, obwohl die Abschlüsse formal gleich sind, da bei die ser der Praxisanteil höher wäre.

Ein weiterer Vorteil einer „normalen“ Ausbildung sei die Möglichkeit, direkt im Anschluss an die Aus­ bildung vom Betrieb übernommen zu werden und damit bereits zu Beginn der Ausbildung eine gewisse Arbeitsplatzgarantie zu haben.

Als Vorteil von außer- und überbetrieblichen Ausbildungen wurde die bessere Betreuung der Auszubil­denden, unter anderem durch Sozialarbeiter, angesehen. Solche Ausbildungsformen eigneten sich nach Ansicht der Teilnehmenden vor allem für Jugendliche, die auf dem ersten Ausbildungsmarkt Pro­bleme haben.

Weiterhin wollten einige Teilnehmende wissen, ob es angesichts der Nähe zur Grenze, Projekte zur Ko­operationen mit Polen gäbe. Es wurde auf den internationalen Austausch mit Österreich und Itali­en im Rahmen des Leonardo-Programms verwiesen. Einen Austausch mit Polen gäbe es (noch) nicht, im Anschluss an die laufenden Programme wäre dies aber eine interessante Möglichkeit.

Nach der Diskussion wurde in den Räumlichkeiten der AIB zu Mittag gegessen. Leider gestaltete sich dieses auf Grund der knappen Raumsituation als schwierig, so dass nicht für alle Teilnehmenden Sitzplätze oder Tische vorhanden waren. Zwischenzeitlich traf auch der Teil der Gruppe, die das Un­ternehmen SNT besucht hatten, in den AiBRäumlichkeiten ein.

Anschließend wurde die Gruppe wieder aufgeteilt, wobei ein Teil das Hauptlager der Firma Getränke Lehmann besichtigte und die andere Hälfte den nahegelegenen Falkenhof besuchte.

Besuch bei Getränke Horst Lehmann16

Die Firma Getränke Lehmann ist ein regionaler Getränke-Vollsortimenter in Berlin-Brandenburg und wurde 1957 gegründet. Es sind ca. 220 Mitarbeiter an mehreren Standorten in Potsdam und Berlin beschäftigt.

Es handelt sich um einen klassischen Vertreter eines inhabergeführten mittelständischen Unternehmens, wie sie für die deutsche Wirtschafts- und Ausbildungslandschaft prägend sind. Dies steht auch im Gegensatz zu Polen und Frankreich, wo deutlich kleinere beziehungsweise deutliche größere Be­triebe vorherrschend sind. Vor diesem Hintergrund erschien es sinnvoll, den ausländischen Teilneh­menden einen Einblick in ein solches für Deutschland typisches Unternehmen zu geben, das mit dem Firmenziel „Getränkehandel“ ein für alle leichtverständliches Gewerbe betreibt (im Gegensatz zu manchen in Potsdam ansässigen Unternehmen der technischen Spezialfertigung, für die spezielle Kenntnisse für die Übersetzung nötig gewesen wären).

Der Firmensitz befindet sich in Potsdam-Drewitz. In Kooperation mit der Firma können Berufspraktika im Bereich Lager/Logistik, Spedition und Büro durchgeführt werden. Das Unterneh­men bildet jun­ge Leute zum Speditionskaufmann/-frau, Fachlagerist/-in und Bürokaufmann/-frau aus.

Getränke Lehmann bietet gerade auch für Jugendliche mit geringer formeller Qualifikation Berufschancen, was für die Projektteilnehmenden besonders wichtig war.

Die Teilnehmenden erhielten eine ausführliche Führung durch das Hauptlager von Getränke Leh­mann. Sie bekamen dabei einen Einblick in verschiedene Arbeitsplätze in den Bereichen Lager, Logistik und Buchhaltung. In einer der allein schon auf Grund ihrer Größe beeindruckenden Lagerhallen hat­ten die Teilnehmenden auch die Gelegenheit, mit einem Auszubildenden zu sprechen. Neben Fragen zu sei­nem Arbeitsalltag zwischen Colakästen, Bierfässern und Schnapsflaschen wurde er eingehend zur Ba­lance zwischen Praxis- und Theorieanteil in seiner Ausbildung befragt. Weiterhin interessierte sich die Gruppe für verschiedene Wege der Berufsfindung beziehungsweise Berufswahl. Er gab an, dass er in diese Ausbildung über das Jobcenter vermittelt wurde und insgesamt mit seiner Wahl sehr zufrieden sei. Die Ausbildung mache ihm Spaß und er finde das Verhältnis von Theorie und Praxis sehr ausgewogen. Sozialarbeiterische Unterstützung hätte er bisher nicht nötig gehabt und er fühle sich im Betrieb gut unterstützt. Allerdings halte er Unterstützung durch Sozialarbeiter während der Ausbil­dung generell für durchaus sinnvoll und könnte sich vorstellen, solche Hilfe in Anspruch zu nehmen, falls es nötig wäre.

Besuch beim Falkenhof / Waldschule17

Ein weiterer Praxispartner des AiB ist der nahegelegene Falkenhof. Zusammen mit einer Waldschule wird er vom Verein „Wald-Jagd-Naturerlebnis e.V.“ betrieben, der hier mit Hilfe der Waldpädagogik Einblicke in das Verhältnis von Mensch und Natur sowie Wald, Forstwirtschaft und Gesellschaft gibt, ein positives Verständnis für diese Belange entwickelt und somit aktiv gegen die zunehmende Naturentfremdung tätig ist.

Der Falkenhof stellt seit April 2004 bei Flugschauen Greifvögel in Aktion vor, gibt Einblicke in den Le­bensraum und die Lebensweise unserer einheimischen Greifvogelarten und erklärt die Falknerei als Jagdart gestern und heute. Ein Streichelzoo bietet für Kindergartenkinder die Möglichkeit, verschiedene Tiere aus unmittelbarer Nähe kennen zu lernen. Schulungsräume, Jagdausstellung, Grillplatz sowie ein Feucht- und ein Trockenbiotop bieten zahlreiche Möglichkeiten für Umweltbildung und Freizeitgestaltung. Im „Falkenhof“ werden Tiere in einer Auffangstation betreut, vor allem Greifvögel. Tierpfleger, Auszubildende und Teilnehmer am Freiwilligen Ökologischen Jahr betreuen und versorgen die Tiere. Zu den Aufgaben gehört Gehegepflege, Flugvorführungen, Fütterung und die Pflege verletzter Tiere sowie die Garten- und Landschaftspflege im Außengelände.

Da der Falkenhof abseits vom öffentlichen Verkehr im Wald auf dem Großen Ravensberg gelegen ist, wanderte eine Teilgruppe des Projektes vom Bürogebäude des AiB dorthin. Während einer kurzen Flugvorführung erläuterte Frau Ilka Simm-Schönholz, die Vereinsvorsitzende, die Besonderheiten der Greifvogelanlage und ihrer Bewohner.

Beim Falkenhof können Jugendliche einen ersten Einblick in die Arbeit eines Tierpflegers bekommen, aber auch landschaftsgärtnerische und erlebnispädagogische Erfahrungen machen. Praktische Arbeiten stehen im Vordergrund. Auch die erzieherischen Tätigkeiten beim Umgang mit Kindergrup­pen und während der Ferienangebote sind ein wichtiger Bestandteil der täglichen Arbeit. Diese Tätig­kei­ten beim Falkenhof haben, z.B. im Vergleich zu den reinen Büroberufen bei SNT oder den technisch orien­tierten Arbeitsplätzen bei Getränke Lehmann, für bestimmte Jugendliche einen großen Vorteil: Sie sind mehr körperlich als geistig fordernd, werden vorwiegend im Freien ausgeführt und es gibt ein kleines, überschaubares Team. Aus Erfahrungen der tiergestützten Pädagogik ist bekannt, dass viele Kinder und Jugendliche vielseitige, ganzheitlich positive Entwicklungsanschübe bekommen, wenn sie mit Tieren und in der freien Natur arbeiten. Im Falkenhof haben, mit großen Engagement der beiden Projektpartner „Wald-Jagd-Naturerlebnis e.V.“ und AiB, Jugendliche das erste Mal Erfahrungen in der freien Natur machen können und neue Ressourcen und Kompetenzfelder bei sich entwickeln können. Berufs- und Ausbildungswünsche, die vorher für sie nicht im Fokus lagen, können entdeckt und geför­dert werden. Auch hier gilt, ähnlich wie bei SNT: Das Image bestimmer Berufe, hier von Tierpflegern und Landschaftsgärtnern, entspricht selten den Realitäten, und Praktika in diesen Berufsbereichen kön­nen den Jugendlichen zu einer Entscheidung für diese Berufe helfen bzw. ihnen erste Basiskompetenzen vermitteln.

Im Anschluss an die Betriebsbesichtigungen fuhr die Gruppe gemeinsam zurück nach Berlin , um dort im Hostel zu Abend zu essen und ein kurzes Tagesresumee zu ziehen.

Später am Abend nutzten viele Teilnehmende das Angebot eines gemeinsamen Bowlingabends. Diese sportliche Aktivität trug dazu bei, den Gruppenbildungsprozess zu fördern und sollte einen Ausgleich zu dem anstrengenden Tag ohne große Betätigungsmöglichkeit bieten.

Mittwoch 4.12.

Der Mittwoch stand unter dem Thema: „Das Studium sozialer Arbeit im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis“. Der Großteil des Tagesprogramms fand in den Räumen der Fachhochschule Potsdam statt und stellt somit die erste Berührung der ausländischen Teilnehmenden mit dieser dar.

Nach einer kurzen kommunikativen Morgenrunde, diesmal im Freien und mit einigen Bewegungsübungen, fuhr die Gruppe mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Potsdam. Für diesen Tag wurde das sogenannte„Schaufenster“ 18 in den Räumlichkeiten der FHP an der Friedrich-Ebert-Straße reserviert. Dort wurden die Teilnehmenden vom Team des Studentencafés „Größenwahn“ mit Kaffee, Tee, Säften und Plätzchen begrüßt. Das Team dieses selbstorganisierten Studentencafés hatte sich bereit erklärt, die Versorgung der Teilnehmenden in den Pausen zu übernehmen.

Die Projektgruppe hatte sich für diese Lösung entschieden um, um einerseits Ressourcen zu schonen und ein studentisches Projekt zu unterstützen und andererseits den ausländischen Teilnehmenden die Vielfalt des studentischen Lebens an der FHP zu zeigen.

Nachdem sich alle gestärkt hatten, stellte der Dekan des Fachbereichs Sozialwesen der FHP, Prof. Dr. Heiko Kleve, die Hochschule und den Fachbereich vor. Er stellte besonders die enge Vernetzung der 5 Fachbereiche, die unterschiedlichen Fachrichtungen und Schwerpunktbildungen in den 5 Fachbereichen sowie die Interdisziplinarität des Interflex-Angebots als “Alleinstellungsmerkmale” der FHP heraus 19 .

Er unterstrich, dass der Bereich Sozialwesen der größte von den 5 Bereichen ist und dass auf 2500 Bewerbungen 700 Studierende kommen. In der FHP liegt der Schwerpunkt im FB Sozialwesen auf Jugend und Familie einschließlich Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit, Berufsförderung, Sozialmanagement, regionale Entwicklung und Gemeinwesenarbeit.

Weiterhin ging Prof. Dr. Kleve auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes für Sozialarbeiter ein. Er beschrieb in diesem Zusammenhang eine wachsende Tendenz zu befristeten Verträgen im Rahmen von projektbezogenen Arbeitsverhältnissen.

Anschließend wurde die Gruppe in mehrere Kleingruppen aufgeteilt. Ein Teil begab sich mit der Tram zum Campus an der Pappelallee, um dort an einem Workshop zum Thema „Career Service der Fachhochschule Potsdam – Schnittstelle zwischen Studium und Berufspraxis“ mit dessen Leiterin, Frau Sandra Cartes, teilzunehmen.

Die restlichen Teilnehmenden blieben in der Friedrich-Ebert-Straße, wo Frau Prof. Dr. Birgit Wiese und Herr Prof. Dr. Gerhard Buck einen gemeinsamen workshop mit den Themenschwerpunkten „Bruchstellen im Bildungssystem“ und „ Dauerkrise der Arbeitswelt – Herausforderungen für die soziale Arbeit“ durchführten.

Frau Prof. Dr. Birgit Wiese lieferte eine Analyse der Bruch- und Übergangstellen zwischen Schule und Beruf, von denen die Teilnehmenden vorher in den Projektbesuchen schon fallweise erfahren hatten.

Sie erläuterte den Teilnehmenden nochmals die Besonderheiten des deutschen dualen Ausbildungssystems. Im Impulsbeitrag von Frau Wiese ging es an dieser Stelle prioritär um die Vielfalt der Zugänge zur Berufsausbildung, mit und ohne Angebote der Jugendberufshilfe. Die Einstiegsangebote reichen von der Praxisklasse (8. Klasse), dem Jobcoach (9./10.Klasse), den niedrigschwelligen Trainingsmaßnahmen und Berufsvorbereitungsmaßnahmen der Arbeitsagenturen und der Jobcenter (worüber z.B. die jeweiligen Berufsinformations-Zentren ausführlich informieren), der überbetrieblichen Ausbildung mit sozialpädagogischer Begleitung bis zum „Ausbildungsinternat“.

Die Praxis zeigt allerdings, dass die Übergangstellen sich auch öfters als brüchig erweisen. So kommt es vor, dass bei bestimmten Jugendlichen, auch zum Beispiel auf Grund ihrer Herkunft, bestimmte Ermessensleistungen der Berufs- und Arbeitsförderung sehr restriktiv gehandhabt oder sogar vorenthalten werden.

Grundsätzlich merkte sie aber an, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Brandenburg auf heute 10% zurückgegangen ist. Davon ist allerdings ein Drittel länger als 6 Monate arbeitslos, sprich ca. 3000 Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren sind langzeitarbeitslos.

Weiterhin brechen immer noch ein Drittel der Auszubildenden ihre Ausbildung ab oder ändern die Berufswahl. Für Lehrlinge, die in einer sog. Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II mit ihrer Familie leben, bleibt finanziell von der Ausbildungsvergütung nur ein Taschengeld übrig, weil sie bei der Berechnung des Zuschussbedarfs voll in das Familienbudget mit einfließt.

Abschließend stellte sie fest, dass die Jugendlichen, die es in Deutschland bis zum Berufsabschluss schaffen, gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Prof. Dr. Gerhard Buck referierte zu den Umbrüchen in der Arbeitswelt seit den 1970er Jahren. Er beschrieb den Trend zu höheren Anforderungen an die formale und nicht formale Bildung für Berufseinsteiger und Jugendliche am Beginn der Ausbildung.

Für Menschen mit geringer Qualifikation stellt dies ein großes Problem dar. Die Schwierigkeiten mit der Vermittlung von Geringqualifizierten in Ausbildung und Beruf führten zur Herausbildung von so genannten Übergangssystemen.

Er ging im Laufe seine Vortrags auf verschiedene große Trends der Entwicklung des Arbeitsmarktes ein:

  • Die Entwicklung hin zu immer anspruchsvolleren Berufen mit höheren Bildungsanforderungen sowie gesteigerten Anforderungen an Flexibilität und Mobilität der Arbeitnehmer
  • Wachsende Kluft zwischen heißbegehrten Fachkräften und wenig qualifizierten Langzeitarbeitskräften
  • Intensivierung von Arbeit, zum Beispiel durch Vermischung von Arbeit und Freizeit
  • Tendenz zu instabilen Erwerbsbiografien und lebenslangem Lernen
  • Ausweitung des Niedriglohnsektors und der prekären Beschäftigungsverhältnissen
  • Finanzkrise der tradierten sozialen Sicherungssysteme
  • Die Soziale Arbeit muss sich vorrangig mit den „Abgehängten“ beschäftigen und hat eine große Verantwortung, den Jugendlichen in dieser neuen Situation ausreichende Unterstützung und Orientierung zu bieten

An der anschließenden Diskussion beteiligten sich zunächst vor allen die Lehrenden und Fachkräfte, was auf ein zu akademisches Niveau des Diskurses schließen lässt. Durch konkretere und einfachere formulierte Fragen ließen sich die Jugendlichen dann aber besser in die Diskussion einbinden. Sobald die Diskussion die Lebenswelt der Teilnehmenden berührte, wurden diese deutlich lebhafter.20

Auf Grund der vorhandenen Simultanübersetzung verlief die Diskussion weitgehend flüssig und problemlos.

Der Career Service wurde als Partner für einen Workshop ausgewählt, da seine Angebote das breite Spektrum an Möglichkeiten für Studierende an der FHP repräentieren. Gemeinsam mit den Fachberei­chen und dem FHP Gründungsservice bereitet der Career Service die Studierenden der FH Potsdam auf den Berufsstart vor und vermittelt ihnen die für ihre spätere Beschäftigung notwendigen Kompeten­zen21. Die Angebote des Career Services sollen zum “lebenslangen Lernen” beitragen, was thematisch zu dem Oberthema „Lebens­wege“unseres Austauschprojektes passt und vor allem auch den Studieren­ den der Sozialen Arbeit aus Polen und Frankreich die Möglichkeiten der Berufsförderung für Sozialpädagogen und -pädagoginnen an der FHP aufzeigen soll.

Zu Beginn des Workshops gab Frau Cartes eine kurze Einführung in die Weiterbildungs­struktur in Deutschland. Ein besonderes Augenmerk legte sie dabei auf das Erlernen von so genannten „Soft Skills“ (Rhetorik, Selfmanagement etc.).Soft Skills werden von Arbeitgeber_innen mittlerweile voraus­ gesetzt und sollen auch nachgewiesen werden, die Wichtigkeit ist also nicht zu unterschätzen. Diese bilden auch die Basis der Angebote des Career Service.

Frau Cartes stellte dann die verschieden Seminare des Career Service vor und verwies darauf, dass die­se auch teilweise in die Lehrpläne integriert werden können und für die Studierenden diese in den meisten Fachbereichen auch als Leistungen mit Credits angerechnet werden können. Dies wurde von den Teil­nehmenden sehr gut angenommen und verstanden und es entstanden interessante Rückfragen zu ver­gleichbaren Angeboten in den anderen Ländern.

In der folgenden Diskussion verglichen die Teilnehmenden die Angebote des Career Services mit vergleichbaren Angeboten der anderen Länder sowohl im Bezug auf Studierende als auch bezüglich der Frage, welche spezifischen Angebote den Auszubildenden gemacht werden. Die Teilnehmenden be­schrieben vor allem, dass solche Angebote meist vom Staat finanzierte Weiterbildungen sind, von de­nen allerdings nur wenige Menschen in den Bevölkerungen wissen.Es wurde kontrovers darüber dis­kutiert, ob das System in Frankreich genauso viele Angebote bzw. ähnliche Strukturen aufweist wie das in Deutschland.

Die Teilnehmenden waren sich einig, dass alle Bürger_innen über die vorhandenen Angebote besser informiert werden sollten.

Die Beteiligung an der Diskussion war sehr rege, was sich eventuell durch das sehr praxisnahe Thema erklären lässt.Es gelang gut, die Situationen in den drei Ländern darzustellen und miteinander zu vergleichen. Allerdings führten Probleme mit den studentischen Dolmetscher_innen zu kleineren Ver­ständnisproblemen, die die Diskussion erschwerten.

Danach traf sich die ganze Gruppe wieder in der Friedrich-Ebert-Straße und aß gemeinsam in der Mensa zu Mittag. Dabei hatten die Teilnehmenden die Gelegenheit, die typisch deutsche Spezialität Currywurst zu probieren.

Anschließend war eigentlich eine kreative Auswertungsrunde zu den Ergebnissen des Vormittags vor­ gesehen. Allerdings war es an den vorherigen Tagen zu einigen Missverständnissen und Kommunikati­onsproblemen gekommen. Weiterhin gab es von einigen Teilnehmenden immer wieder kritische An­ merkungen zum Programm, unter anderem wurde ein Mangel an Freizeit angemerkt. Auf Grund dieser Störungen im Gruppenklima entschied sich die Projektgruppe, diese Störungen direkt anzuge­hen, um unterschwellig schwelende Konflikte zu vermeiden.

Die gesamte Gruppe fand sich daher zu einer „Meckerrunde“ im Schaufenster ein. Alle Teilnehmenden brachten dabei ihre Sicht zum bisherigen Verlauf der Woche und ihre Kritik be­ziehungsweise Verbesserungswünsche ein. Wichtig war dabei, dass sich wirklich alle Teilnehmen­ den äußerten und die Kri­tik von der Projektgruppe aufgenommen werden konnte.

Die Teilnehmenden kritisierten, wie erwartet, vor allem den Mangel an Freizeit und die für viele Teil­ nehmende unklare Führungsstruktur im Projekt. Der Umstand, dass Studierende mit der Koordinierung dieser Bildungs- und Begegnungswoche betraut waren, schien für viele polni­sche und französi­sche Teilnehmende schwer begreiflich und sehr ungewohnt zu sein. Sie empfanden die für sie unklaren Hierarchien als anstrengend. Es hatte weiterhin den Anschein, als ob manchen Teil­ nehmenden der Umfang, der Anspruch und die Zielsetzung des Projekts zuvor nicht deut­lich genug waren.

Auffällig war, dass Teilnehmenden die bereits an den Wochen in Frankreich und Polen teilgenom­men hatten, den bisherigen Wochenverlauf deutlich positiver bewerteten. Diese betonten, dass es sich eben nicht um ein reines Begegnungsprojekt handelte und begrüßten die vielen inhaltli­chen Programm­punkte.

Es wurde auch deutlich, dass es für einige Teilnehmende sehr mühsam war, den Diskussionen zu folgen und dass teilweise die Themen an ihrer Lebenswirklichkeit vorbei gingen oder zu akademisch aufbe­reitet waren.

Insgesamt kann man sagen, dass es nicht einfach war, sich den Anforderungen und Ansprüchen beziehungsweise Unzufriedenheiten der Teilnehmenden und Lehrenden zu stellen, dass dies aber für das Gruppengefüge unabdingbar wichtig war. Das Eingehen auf die Bedürfnisse gerade in der Mitte der Projektwoche war von zentraler Bedeutung und führte für mehr Verständnis von allen Seiten.

Die offene Aussprache führte insgesamt zu einem verbesserten Gruppenklima und einer gesteigerten Motivation.

Mittwochnachmittag war Gelegenheit für alle Teilnehmer zu einer Stadterkundung Potsdams.

In der Vorbereitungsphase wurden verschiedene Ideen und Konzepte entwickelt, von einer Rundfahrt über eine Führung durch die engere Innenstadt bis hin zu einem erweiterten, wissensorientierten Ge­ländespiel für Erwachsene. In Zusammenarbeit mit dem Potsdam Tourismus Service als Dienstleister der Landeshauptstadt Potsdam, dem Amt für Wirtschaftsförderung der Stadt Potsdam und dem Be­reich Öffentlichkeitsarbeit/Marketing der Stadt Potsdam waren verschiedene Varianten im Vorbereitungsteam diskutiert worden. Eine reine touristisch orientierte Stadterkundung entsprach aber nicht der Zielstellung der Projektwoche. Gleichzeitig mussten die Gruppengröße, die zur Verfügung stehen­ den finanziellen Mittel, die Sprachbarriere und die verschiedenen Voraussetzun­gen und Interessengebiete der Teilnehmer berücksichtigt werden.

Wir hatten insgesamt fünf Tourenvorschläge mit jeweils eigenen thematischen Schwer­ punkten entwickelt. Die Teilnehmer konnten sich selbständig zu Kleingruppen zusammenfinden und sich für eine der fünf Touren entscheiden. Jede Gruppe verfügte über ein Infopaket mit Stadtplänen und mehrsprachi­gen Erläuterungen. Ausschlaggebend für dieses Konzept war die Möglichkeit, kosten­ frei ein von der Stadt Potsdam zur Verfügung gestelltes, mehrsprachiges (!) Audio-Guide-System in die Touren mit einbinden zu können. Dazu konnten die in jeder Gruppe vorhandenen Mobiltelefone ge­ nutzt werden, auf denen die Informationen entweder zu Beginn der Tour gespeichert werden oder per kostenfreiem Anruf an den jeweiligen Infopoints während der Tour abgerufen werden konn­ ten. Zusammen mit den schriftlichen Materialien ergab sich eine Mischung aus geführter und individueller Tour, z.B. zur Glienicker Brücke als Mahnmal der deutschen Teilung oder auch zu Konversions­flächen wie dem Borns­tedter Feld.

Am Abend trafen sich alle Teilnehmenden zu einem gemeinsamen internationalen Kochabend im autonomen Jugendzentrum „Freiland“ in Potsdam.

Unter tatkräftiger Mithilfe einiger Teilnehmender, die sich vorher freiwillig gemeldet hatten, wurde ein dreigängiges Menü mit für die Länder typischen deutschen, polnischen und französischen Speisen gekocht. Von polni­scher Rote-Beete-Suppe über deutsche Pellkartoffeln mit Leinöl und Kräuterquark ging es zu französi­schem Mousse au Chocolat.

Die Stimmung an diesem Abend war sehr gelöst, was sicherlich auch eine Folge der mittäglichen Aus­ sprache war. Das gemeinsame Kochen, Essen und Zusammensit­zen trugen zur einer weiteren Verbes­serung der Stimmung bei. Bei Getränken und Musik war anschließend auch ausreichend Zeit, den in­ternationalen Begegnungsaspekt der Woche zu vertiefen. Dies entsprach auch den von den Teilneh­menden Wünschen nach mehr Freiraum und Zeit für Gespräche mit den anderen Gruppenmitgliedern.

Donnerstag 5.12.

Die Projektgruppe hatte sich im Vorfeld ausführlich über die verschiedenen Dimensionen von Arbeit und Ausbildung, von Arbeitslosigkeit und Jugendberufshilfe informiert, um für sich selber Schwerpunkte herauszufinden und ein für die verschiedenen Teilnehmergruppen passendes Programm zusammenzustellen. Bei den Diskussionen während der Vorbereitungszeit kamen neben den personalen und lebensweltlichen Dimensionen auch immer stärker politische und gesellschaftliche Fragestellungen auf. Diese betreffen vor allem die gering oder wenig qualifizierten Jugendlichen oder Jung-Erwachsenen, die an der Schwelle zwischen Schulbildung und Beruf stehen. Oft (zu oft?) werden von außen so beobachtete „erfolglose“ Erwerbsbiografien den intrapersonalen Gründen zugeordnet, gerade bei Jugendlichen. Das so oft geäußerte „Die wollen ja gar nicht arbeiten“, obwohl sie vermeintlich jung und arbeitsfähig sind, steht hier an erster Stelle. Dass es sich dabei nicht nur um das Nicht-Arbeitenwollen (was fehlende Motivation unterstellt) oder das Nicht-Arbeitenkönnen (z.B. aufgrund von Krankheiten und sozialen Notlagen) handelt, sondern vielfach auch um ein Nicht-Arbeiten-Dürfen, sei hier mal als etwas provokante These in den Raum gestellt. Die Ursache dieses Nicht-Arbeiten-Dürfen sieht das Projektteam in gesamtgesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Zusammenhängen wie der globalisierten Wirtschaft, der politischen Bevorzugung bestimmter Branchen, Abbau von Handelsbeschränkungen und natürlich –sehr allgemein gehalten- dem technologischen Fortschritt.

Darüber hinaus ist in jüngerer Zeit eine weitere starke Verschiebung der betrieblichen Nachfrage zugunsten qualifizierter Arbeitskräfte zu verzeichnen. Dafür werden in der wissenschaftlichen Diskussion vor allem drei Ursachen genannt: qualifikationsspezifischer technischer Fortschritt (“skill biased technical change”), qualifikationsspezifische organisatorische Maßnahmen (“skill biased organizational change”) und eine Verschiebung der internationalen Arbeitsteilung.“22

Auf diese Weise entstand die Idee zum Tagesthema für Donnerstag. Der Workshop am Donnerstagvor­mittag befasste sich mit den „Perspektiven der Jugendberufshilfe und der Jugendsozialarbeit im Kontext des regionalen Strukturwandels“. Diese Thematik sollte durch zwei fachliche Impulsbei­träge mit anschließendem Austausch von Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Sozialträgern er­schlossen wer­den, wobei – soweit möglich – auch ein Überblick zur postindustriellen Entwicklung, zu den aktuellen wirtschaftlichen Realitäten im Land Brandenburg, den damit verbundenen Qualifikati­ons- und Be­schäftigungsperspektiven junger Menschen und den daraus folgenden Herausforderungen für die Ju­gendberufshilfe gegeben werden sollte.

Hier unser Bericht über diesen Thementag:

Am Donnerstag-Vormittag, 5.12.2013 führten wir den Workshop zu den Qualifikations- und Beschäftigungsperspektiven erwerbsloser Jugendlicher in der Region Berlin-Brandenburg seit der „Wende“ durch, wobei wir schwerpunktmäßig auf die Herausforderungen für die Jugendsozialarbeit einschließlich der Jugendberufshilfe eingingen. Den Auftakt bildeten zwei Impulsbeiträge: Frau Ursula Klingmüller (Referatsleiterin für Grundsatzfragen der Arbeitspolitik sowie des Arbeits- und Tarifrechts im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg) gab zunächst einen Überblick zur Entwicklung und Struktur der regionalen, branchen- und zielgruppenbezogenen allgemeinen Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit im Land Brandenburg sowie zu den Zielen und Instrumenten der beruflichen Integration junger Menschen im Rahmen des arbeitspolitischen Förderprogramms des Landes. Anschließend informierte Herr Jörg Bindheim (Mitglied des Geschäftsführung des Potsdamer Jobcenters ‘PAGA’ mit dem Zuständigkeitsbereich ‘Integrationsplanung’) über die Organisation, die gesetzlichen Aufgaben und die Arbeitsweise des Potsdamer Jobcenters, die Problemlagen der dort unterstützten Jugendlichen und über exemplarische Fördermaßnahmen.

Anschließend berichteten die eingeladenen Vertreter_innen verschiedener Bildungsträger und Jugendberufshilfeträger_innen kurz über ihre jeweilige Arbeit mit förderbedürftigen Jugendlichen und ergänzten die beiden Impulsbeiträge durch eigene Fachpositionen und kritische Anmerkungen.

Darauf folgte dann eine angeregte Plenumsdiskussion, an der sich die Auszubildenden und Studierenden sowie die Ausbilder_innen und Dozenten_innen aus den drei Ländergruppen lebhaft beteiligten.

Frau Klingmüller erläuterte zunächst die übergreifenden Trends und die erheblichen regionalen Unterschiede bei der Entwicklung der allgemeinen Arbeitslosigkeit und der Jugendarbeitslosigkeit im Bundesdurchschnitt und in den Ländern Berlin und Brandenburg. Sie führte weiter aus, dass sich die Ausbildungs- und Arbeitsplatzchancen junger Menschen infolge der demografischen Veränderungen und der (durch den damaligen Lehrstellenmangel forcierten) Abwanderungsbewegung in den 90er und 00er Jahren inzwischen deutlich verbessert haben und mit dem zunehmenden Fachkräftemangel weiterhin verbessern werden. Die sogenannten Geringqualifizierten haben aber nach wie vor große Probleme, Arbeit zu finden: Von den unter 25jährigen jungen Leuten (“U25”) ohne Berufsausbildung sind 50% arbeitslos und 30% sogar schon über 6 Monate arbeitslos. Letztere bilden den “harten Kern” der sogenannten arbeitsmarktpolitischen Problemgruppen. Für diese gibt es ein umfangreiches Förderangebot der EU, des Bundes einschließlich der Bundesagentur für Arbeit und der Länder im Kontext der jugend-, bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Leitlinie, dass jede_r junge Arbeitslose eine Berufsausbildung abschließen soll, soweit möglich auch eine duale Lehre in einem Unternehmen. Die betriebliche Lehre bietet viele Vorteile: Lernen in der betrieblichen Praxis, Zahlung einer Ausbildungsvergütung durch das ausbildende Unternehmen, bei Bedarf Zuschuss zur Ausbildungsvergütung durch die Arbeitsagentur.

Das z.T. durch den Europäischen Sozialfonds bezuschusste arbeitspolitische Programm des Landes Brandenburg enthält eine breite Palette an Förderangeboten zur beruflichen Integration junger Menschen: Ausbau der Berufsorientierung an Schulen, auch zur Reduzierung und Prävention von Schulabbrüchen (aktuell bei 5,6%) und von Berufsausbildungsabbrüchen (aktuell bei 30%); “Brandenburger Ausbildungskonsens” zur Mobilisierung und Unterstützung von ausbildungsbereiten Unternehmen (in der brandenburgischen Unternehmensstruktur fällt der hohe Anteil von Kleinbetrieben auf, die häufig keine Ausbildungsplätze anbieten bzw. anbieten können); Brandenburger Ausbildungspreis für vorbildliche Ausbildungsbetriebe; Zuschüsse für den Zusammenschluss von mehreren ausbildenden Unternehmen (“Ausbildung im Verbund”), damit die Auszubildenden die für das jeweilige Berufsbild verlangten Qualifikationen durch aufeinander abgestimmte Ausbildungsphasen bei den verbundbeteiligten Unternehmen erlangen können; “Einstiegszeit” zur Förderung des Einstellung junger Fachkräfte (incl. Lohnkostenzuschuss und ergänzende arbeitsplatzbezogene Qualifizierung); Förderangebote für junge Erwerbstätige, die eine selbständige berufliche Existenz aufbauen wollen (sog. Gründerwerkstätten) und für junge Frauen zur Übernahme von verantwortlicher Positionen im Berufsleben.

Herr Bindheim ergänzte: Der Impulsbeitrag Frau Klingmüllers hat die großen regionalen Unterschiede der Arbeitslosigkeitsquoten im Land Brandenburg veranschaulicht, die mit zunehmender Entfernung von Berlin ansteigen. Demgegenüber ist die Arbeitsmarktsituation in Potsdam mit einer allgemeinen Arbeitslosigkeitsquote von 5,1% und einer Jugendarbeitslosigkeitsquote (bei den unter 25jährigen) von 4,4% sehr viel günstiger. Das seit 2005 bestehende Potsdamer Jobcenter ‘PAGA’ (Potsdamer Arbeitsgemeinschaft zur Grundsicherung für Arbeitssuchende) mit 195 Mitarbeitern_innen ist aktuell für 10.413 Bezieher von sog. Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II zuständig, darunter 1.281 Jugendliche ab 15 bis unter 25 Jahren (“U25”). Von diesen U25 sind aber nur 345 Jugendliche, also knapp 1/4 als arbeitslos registriert, die übrigen sind in Ausbildung, in laufenden Fördermaßnahmen oder stehen dem Arbeitsmarkt (z.B. wg. Krankheit und Kinderbetreuung) derzeit nicht zur Verfügung. Die Förderung kann neben der laufenden Grundsicherung zur Gewährleistung des gesetzlichen Existenzminimums (max. 391 Euro, evt. mit speziellen Zuschlägen und Mietübernahme im Rahmen von Mietobergrenzen) auch verschiedene ausbildungs-, beschäftigungs- und arbeitsmarktintegrative Maßnahmen umfassen. Bei den U25 sind 20 Mitarbeiter_innen als Fallmanager_innen für die Einzelfallbetreuung zuständig. Es handelt sich überwiegend um Jugendliche, die die Schule abgebrochen bzw. ohne oder mit schlechtem Zeugnis verlassen und keine Anschlussperspektiven haben. Bei den Jugendlichen mit Schulabschluss überwiegen Hauptschüler mit schlechten Zeugnissen; Hauptschulabsolventen_innen mit guten Abschlusszeugnissen haben deutlich bessere Aussichten auf eine Lehrstelle, auch gegenüber Realschulabsolventen_innen mit schlechten Abschlusszeugnissen. Die Personalausstattung zur Betreuung und Förderung dieser U25 ist zu eng, um jeden Einzelfall ausreichend zu begleiten – dies kann nur durch Beauftragung bzw. Einschaltung von freien Bildungsträgern und Arbeitsfördergesellschaften geleistet werden. Die PAGA-Mitarbeiter regeln dabei die Maßnahmefinanzierung und koordinieren die laufende Fallbearbeitung.

Ein besonderes Problem ist, dass das Jobcenter eigentlich viel zu spät mit den Jugendlichen in Kontakt kommt, überwiegend erst an der Schnittstelle zwischen Schule und Berufsausbildung. Die Jugendlichen kommen häufig aus sog. Multiproblemfamilien, mit denen verschiedene soziale Hilfsstellen seit Jahren befasst sind, z. B. familienbezoge Hilfen des Jugendamts, Schulsozialarbeit, Suchtkrankenhilfe, psychologische Dienste der Schulen etc. Es gibt jedoch keine einzelfallbezogenen institutionellen Kontakte zwischen diesen Stellen und dem Jobenter. Beim Übergang Schule-Berufsausbildung brechen die alten Betreuungszuständigkeiten ab und die Fallmanager beim Jobcenter müssen ihre Informationsbasis und ihre Betreuungskontakte nach dem tabula-rasa-Prinzip völlig neu aufbauen. Ein Lösungsvorschlag wäre die Errichtung einer “Jugendberufsagentur” für die Zusammenarbeit aller Fachkräfte, die mit betreuungs- und förderbedüftigen Jugendlichen vor und nach dem Schulabschluss befasst sind und wo jeweils ein_e Sozialarbeiter_in kontinuierlich für jede_n Jugendliche_n während des ganzen ganzen Betreuungs- und Förderzeitraums zuständig bleibt und alle Hilfen koordiniert.

Im Vergleich mit Sozialarbeitern_innen kommen die Mitarbeiter_innen des Jobcenters mit den Familien und peer-groups der Jugendlichen wesentlich schlechter in Kontakt und sie lernen deren Lebensumstände kaum näher kennen, da ihr Arbeitsauftrag eng auf arbeitsmarktintegrative Leistungen und Sanktionierungen zugeschnitten ist. Eine ganzheitliche Betreuung im Rahmen einer Jugendberufsagentur wäre wesentlich effektiver. Durch eine solche Agentur könnte auch das Problem bearbeitet werden, dass sich viele von SGB II- bzw. “Hartz-IV”-Leistungen abhängige Familien mit diesem Lebensniveau (und ggf. mit gelegentlicher Schwarzarbeit) eingerichtet haben. Die Betreuer und Fallmanager müssen die Jugendlichen demgegenüber überzeugen, daß sie auch mit 30 Jahren oder sogar noch später eine Berufsausbildung als lohnende Investition in die Zukunft absolvieren können, auch wenn die verfügbaren Fördermöglichkeiten unzureichend sind (nur mit Berufsausbildungsbeihilfe und ohne ergänzende Sozialleistungen kann keine Familie auskommen), was nach wie vor viele junge Hartz-IV-Bezieher von einer Ausbildung abhält. Wichtig wären zudem mehr arbeitsweltbezogene Projekte an Schulen in Kooperation mit Unternehmen, um die jungen Menschen besser über lohnende Berufsperspektiven zu informieren.

Im Anschluss an die beiden Impulsbeiträge eröffnete Herr Louis Kaufmann, Mitglied des Vorstands der GfbM Berlin, den Workshopteil mit der Vorstellung der Trägerpositionen. Herr Kaufmann wies darauf hin, dass die zu Recht geforderten “ganzheitlichen Hilfen” und “sozialpädagogisch fundierten Betreuungszuständigkeiten”, die jetzt von einer Jugendberufshilfeagentur erhofft werden, bis zum Inkrafttreten des Hartz-IV-Gesetzes (SGB II) Anfang 2005 ein selbstverständliches Handlungsfeld der Jugendberufshilfe im Rahmen der Jugendsozialarbeit nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (13 SGB VIII) war. Durch den gesetzlichen Vorrang der arbeitsmarktintegrativen Leistungen nach dem SGB II kann die Jugendberufshilfe nach dem SGB VIII nur noch in besonderen Einzelfällen als ergänzende sozialpädagogische Begleitmaßnahme wahrgenommenen werden. Vor dem Inkrafttreten des Hartz-IV-Gesetzes wurden z.B. von der Berliner Jugendberufshilfe über 1.200 berufliche Vollzeitausbildungsplätze angeboten, heute sind es nur noch 90 Plätze. Die Jugendberufshilfe verfügt über ganz andere (sozial- und berufspädagogisch ausgerichtete) Handlungsinstrumente als die Fördermaßnahmen der Jobcenter zur zügigen Arbeitsmarktintegration auf Grundlage des SGB II. Die Jugendberufshilfe muss wieder gestärkt werden, weil die benachteiligten Jugendlichen andere Unterstützungsbedarfe als die sonstigen “Kunden” der Jobcenter haben. Die “Fallbearbeitung” durch die Mitarbeiter der Jobcenter basiert nicht wie die Fallbearbeitung durch die Mitarbeiter der öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe auf Freiwilligkeit, Vertrauensbildung und persönlicher Beziehungsarbeit, sondern auf sanktionsbewehrten “Integrationsvereinbarungen”. Die z.T. langjährigen Kontakte der Kinder- und Jugendhilfe zu den benachteiligten Jugendlichen und ihren Familien werden gekappt, wenn die Jugendlichen mit 18 Jahren volljährig werden und dann an die zuständigen Jobcenter bzw. Arbeitsagenturen quasi weitergeschoben werden. Dieser erzwungene Systemwechsel kann für die betroffenen Jugendlichen verheerende Folgen haben.

Die Mitarbeiterinnen des Vereins “CAIJU e.V. – Verein für Chancengleichheit und Arbeitsweltintegration” Berlin, Frau Sally Grabosch und Frau Alessa Meurer, ergänzten: Der Verein CAJU führt stadtteilbezogene Projekte zur Berufsorientierung und Berufsvorbereitung für Jugendliche in der Übergangsphase zwischen Schule und Berufsausbildung durch. Das größte CAIJU-Projekt mit dem Namen “TeenKomm” vermittelt Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 25 Jahren kleinere entlohnte Jobs bzw. Hilfs-tätigkeiten (2-3 Stunden) im Auftrag von öffentlichen Verwaltungsstellen, Firmen, anderen Vereinen und Privatpersonen und bietet dazu eine begleitende soziale Unterstützung im Sinne von “Coaches” an, um soziale Kompetenzen und sonstige arbeitsweltrelevante Schlüsselqualifikationen (Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit etc.) zu erlernen. Neben arbeitsweltbezogenen Kompetenzen sollen die Jugendlichen auch den Wert von Arbeit als körperliche und geistige Anstrengung erfahren, denn sie haben oft nicht gelernt oder oft verlernt, daihr Konsum eigentlich ein Ergebnis von eigener Anstrengung und Arbeit sein sollte. Dabei geht es nicht um irgendwelche aus Fördermitteln bezahlte Arbeitsübungen bzw. Trainingsaktivitäten, sondern um echte gebrauchswertschaffende Arbeit mit realer Entlohnung. Wenn die Jugendlichen nicht beim Auftraggeber einer angebotenen Arbeit auftauchen, dann eruieren die CAIJU-Mitarbeiter_innen die Gründe und begleiten die Jugendlichen pädagogisch weiter, ohne sie zu sanktionieren. Die Gleichzeitigkeit von “Fördern” und “Bestrafen” bzw. “Sanktionieren” ist ein Widerspruch in sich. Die Jugendlichen können sich jederzeit ohne bürokratische Formalien an CAIJU wenden. Die öffentlichen Hilfsangebote einschließlich der Jugendämter erreichen die Jugendlichen häufig nicht, weil die Jugendlichen nicht den jeweiligen Förderanforderungen entsprechen oder weil sie sich drohenden Sanktionen entziehen. CAIJU kooperiert aber mit den verschiedenen Hilfsstellen (Jugendamt, Jobcenter, andere freie Träger etc.), damit ggf. schon laufende Betreuungskontakte nicht abgebrochen und mit den eigenen Unterstützungs- und Begleitungsangeboten vernetzt werden.

Die leitende Mitarbeiterin des Trägers Bildungsmarkt Vulkan GmbH Berlin, Frau Regina Walther, führte aus, dass es sehr viele Hilfsangebote und Betreuungsangebote für den Übergang zwischen Schule und Beruf gibt, die aber offensichtlich noch nicht für eine effektive Problemlösung ausreichen. In diesem “Förderdschungel” muss es auch Projekte geben, die den Jugendlichen erst dann Unterstützung und Begleitung anbieten, wenn die Jugendlichen dies ausdrücklich selbst wünschen und nachfragen, also nicht schon dann, wenn die zuständige Institution dies will. Darauf basieren die Kurse von Bildungsmarkt Vulkan zur Weiterbildung von Sozialarbeitern_innen zu “Lerncoaches” mit bisher 100 Teilnehmern_innen. Ein fachlich ausgebildeter Lerncoach geht von der subjektiven Problemsicht und von den individuellen Wünschen und Zukunftsperspektiven der Jugendlichen aus, indem er ihnen beim Herausfinden der eigenen Interessen, Fähigkeiten und Berufswünsche sowie bei der Planung und schrittweisen Umsetzung der darauf basierenden Entscheidungen assistiert. Die Lerncoaches dürfen nicht der Ausbildungs- bzw. Hilfeinstitution angehören, von der die Jugendlichen abhängig sind. Sie müssen das Vertrauen der Jugendlichen haben und von diesen selbst ausgewählt und kontaktiert werden. Der Einsatz von Lerncoaches hängt davon ab, ob das zuständige Jobcenter entsprechende Honorarmittel für die pro Einzelfall durchschnittlich erforderlichen 8 Coachingstunden bewilligt. Bisher werden die Jugendlichen aber noch überwiegend ohne professionelle Coachingkompetenzen beraten und begleitet. Der außerinstitutionelle Beratungs- und Begleitungsansatz des Lerncoach-Konzepts könnte auch für andere Länder von Interesse sein.

Die Geschäftsführerin des AIB – Verein für Arbeitsmarktintegration und Berufsförderung e.V. Potsdam, Frau Kerstin Hölzig, betonte, dass nur solchen Jugendlichen wirksam geholfen werden kann, die sich ihren Problemen stellen und Hilfen annehmen. Die jeweiligen Hilfen müssen außerdem über einen längeren Zeitraum finanziell abgesichert werden. Beides war beim AIB-Projekt “Sprungfeder” der Fall: Die Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds wurden für 18 Monate bewilligt. Den Jugendlichen wurden 6-monatige Praktika in ausgewählten Betrieben vermittelt, die ihnen reale Anschlussperpektiven boten. Die Jugendlichen konnten ihre Praktikumsplätze selbst auswählen. Wenn ihnen die jeweilige Tätigkeit nicht gefiel, dann wurde ein anderer Praktikumsplatz in Abstimmung mit dem zuständigen Fallmanager beim Potsdamer Jobcenter gesucht. Die längerfristige Maßnahmedauer bildet eine wichtige Erfolgsbedingung. Die Jugendlichen bringen häufig bestimmte “Maßnahmebiografien” aus kurzfristigen und episodischen Bewerbungs- und Arbeitstrainings mit, zu denen sie mit Sanktionsdruck verpflichtet wurden, die aber keinen inhaltlich abgestimmten und wirksamen Förderverlauf bilden. Demgegenüber konnten die beim Projekt Sprungfeder beteiligten Jugendlichen gleich nach Praktikumsende eine Berufsausbildung in ihrem Praktikumsbetrieb beginnen, wenn ihr Einsatz zufriedenstellend war. Am Maßnahmeende wurden 54% der Jugendlichen in eine Berufsausbildung oder Arbeit vermittelt.

Der Mitarbeiter der GfbM, Herr Olaf Melchior führte aus, dass die Jugendlichen auch durch klare Vorgaben und positive Beispiele lernen sollten. Sie müssen lernen, die Konsequenzen ihres Handelns zu reflektieren und Verantwortung zu übernehmen. Es darf z.B. nicht einfach hingenommen werden, wenn Jugendliche nicht zu vereinbarten Beratungsterminen oder tageweise nicht auf ihren jeweiligen Praktikums- bzw. sonstigen Arbeitsstellen oder zum Unterricht erscheinen. Wenn Jugendliche etwa Bewährungsauflagen wg. vorangehender Delikte erfüllen müssen, dann kann mit der Bewährungshilfe vereinbart werden, dass sie diese am Wochenende ableisten, ohne ihre laufenden Verpflichtungen während der Arbeitswoche zu verletzen. Die vielen Fördertöpfe verkomplizieren zwar die laufende Projektarbeit, andererseits haben dadurch gerade auch kleine Träger eine Chance, innovative Projekte durchzuführen.

Die Referentin der AGJ – Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe Berlin, Frau Nadine Paffhausen, regte an, für den Austausch über best-practice-Beispiele die AGJ (als Forum zur Kooperation und Vernetzung öffentlicher und freier Trägern in der Kinder- und Jugendhilfe) zu kontaktieren. Die AGJ bietet eine Datenbank inklusive Veranstaltungskalender und Stellenbörse an und fungiert als Plattform für die Publikation von fachlichen Positionspapieren, Stellungnahmen, Gutachten, z.B. zur Chancenverbesserung junger Menschen beim Übergang von Schule zum Beruf23

In der anschließenden Diskussion wurden folgende Fragen, Stellungnahmen und Lösungsvorschläge eingebracht:

Werden die Persönlichkeitsrechte der Jugendlichen in der Fallbearbeitung und bei der Kooperation zwischen den verschiedenen Hilfsstellen beachtet, insbesondere bzgl. Vertraulichkeit und Datenschutz, wozu die Beteiligten z.B. in Frankreich verpflichtet sind? Den Menschen gehört ihre jeweilige Biografie allein, in diese darf nicht ohne ihre Zustimmung eingegriffen werden. Wenn Jugendliche befürchten müssen, daß ihre geschützten Daten zwischen den Hilfsstellen weitergegeben werden, dann werden sie diese u.U. nicht aufsuchen und deren Hilfeangebote nicht annehmen (Ewa Martin, französische Dozentin). Einige Daten müssen aber weitergegeben: wenn z.B. das Jobcenter nicht erfährt, dass ein Jugendlicher unter Bewährungsstrafe steht und gemeinnützige Tätigkeiten bzw. Sozialstunden für vorangehende Delikte ableisten muss und darum anderen Verpflichtungen nicht nachkommt, dann kürzt das Jobcenter seine Leistungen. Auch bei diesem Problem könnte eine Jugendberufsagentur mit kontinuierlicher Zuständigkeit der Betreuungskräfte für “ihre” Jugendlichen einen Ausweg eröffnen (Jörg Bindheim, Jobcenter Potsdam).

Wir haben gehört, wie Jugendliche ohne Berufsausbildung von vielen Stellen unterstützt werden, aber vom Jobcenter sanktioniert werden, wenn sie bestimmte Förderangebote ablehnen (z.B. keinen Arbeitsvertrag im Anschluss an ein gefördertes Praktikum abschließen). Aber wie werden die Arbeitgeber veranlasst, ausreichend Jobs und entsprechende Arbeitsverträge anzubieten? Es geht nicht nur um die Beeinflussung der Einstellung und Motivation junger Menschen durch irgendwelche Aktivierungsmaßnahmen, sondern um reale Jobs, gerade auch in Polen mit seiner hohen Jugendarbeitslosigkeit (regional bis zu 35%). Außerdem sollte hinterfragt werdeb, ob die jeweiligen arbeitsmarktbezogenen Aktivierungs- und Reintegrationsmaßnahmen auch den Vorstellungen der Jugendlichen von Arbeit und davon entsprechen, was sie aus ihrem Leben machen wollen. Die Ausbildungsmaßnahmen, die wir während der Projektbesuche gesehen haben (Tischlerei, Autowerkstatt, Friseur usw.) beziehen sich auf alte bzw. traditionelle Berufe. Sinnvoller wäre, die Jugendlichen in zukunftsträchtigen neuen Berufen z.B. im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien auszubilden. Es erscheint auch problematisch, wenn von jungen Menschen im Alter zwischen 18 und 20 Jahren erwartet wird, eine Berufsentscheidung für die nächsten 40 Jahre zu treffen (Anna Soltys, polnische Dozentin).

Bei der Beurteilung der Motivation der Jugendlichen muss auch ihre reale Konfliktlage berücksichtigt werden: Welche Arbeitsmarkt- und Einkommensperspektiven haben sie? Haben sie realistische Aussichten auf qualifizierte und gut bezahlte Arbeitsstellen oder nur auf gering qualifizierte, prekäre und schlecht bezahlte Jobs? In Frankreich sind die Löhne für gering qualifizierte Arbeit viel zu niedrig, um den eigenen Lebensunterhalt bzw. ein einigermaßen auskömmliches Konsumniveau zu finanzieren. Und wenn man arbeitet, gibt es in Frankreich keine ergänzenden Sozialleistungen. Wie kann da Arbeitsmotivation entstehen? Diese Problematik kommentiert der deutsche Soziologie Axel Honneth so: “Arbeit” erscheint gegenwärtig als “soziales Monster” und als absolute Verpflichtung gemäß dem Leitgedanken: “Wer arbeitet ist frei, und wer nicht arbeitet, ist unfrei” (Ewa Martin, französische Dozentin).

Die zunehmende Zeitarbeit in Frankreich und Deutschland führt zu sinkenden Einkommen. In Deutschland können diese Einkommen dann durch Sozialleistungen aufgestockt werden. Dies nutzen viele Firmen auf Kosten der Allgemeinheit aus. Die Firmen werden auch Wege finden, den bevorstehenden Mindestlohn zu umgehen, was die Diskussion um die geplanten Ausnahmeregelungen zeigt. Demgegenüber wäre ein Umdenken nötig: Die Arbeitenden sollen nicht als Kostenfaktor gesehen werden, sondern als Bereicherung für die Firma! (Jan, deutscher Auszubildender).

Es geht in der Tat um einen neuen Arbeitsbegriff! Es ist unsinnig, die Menschen zur Arbeit als Selbstzweck zu zwingen. Es geht nicht darum, eine “Arbeit um der Arbeit willen” zu tun (mit der Vorstellung, erst dadurch Teil der Gesellschaft zu sein). Die Arbeit muss auch subjektiv sinnerfüllend sein. Ist es so schlimm, eine Ausbildung abzubrechen? Die jungen Leute sollten sich ausprobieren, um ein erfülltes und zufriedenstellendes Leben zu finden, ohne den Zwang, so schnell wie möglich in Arbeit zu kommen. (Lennart, deutscher Student).

Die finanziellen Fragen und Probleme sind zentral: wenn man z.B. als junger Mensch in Frankreich an einer Kunsthochschule studieren will, dann scheitert das oft daran, dass es nicht genügend allgemein zugängliche und gebührenfreie Studienmöglichkeiten gibt und dass die privaten Schulen zu teuer sind. (Marine, französische Studentin).

Die Motivation der Jugendlichen könnte steigen, wenn z.B. die Aufforderungen der Jobcenter, zu einem Beratungstermin zu erscheinen nicht gleich den Hinweis enthalten würden, dass der Leistungsbezug bei Nichterscheinen um 10% gekürzt wird. Den Jugendlichen sollte stattdessen das Gefühl vermittelt werden, daß mit ihnen gesprochen wird, dass sie wirklich beachtet werden und daß sie kein Standardexemplar unter 5000 Arbeitslosen sind (René, deutscher Auszubildender).

Es geht in der Tat um die Wirkungen der “Pädagogik der Sanktionierung” gegenüber der “Pädagogik der Motivierung”. Es geht darum, ob ich als Mensch oder als Rädchen in einer Maschine wahrgenommen werde. Es darf nicht sein, dass junge Menschen, die in ihren Familien Langzeitarbeitslosigkeit erleben, gleich als vorbelastete Problemfälle eingestuft werden (weil sie erleben, wie sich ihre Eltern im Leben mit “Hartz IV” eingerichtet haben). Sie werden nun einmal in ihren Familien sozialisiert. Die jungen Menschen müssen dennoch ohne Vorfestlegungen und ohne Filter gesehen werden – und sie müssen ihre eigene Stimme behalten. Zuerst sollte gefragt werden, was die Jugendlichen uns sagen wollen. Die Frage muss sein: “Was lernen wir aus ihrer Arbeitslosigkeit bzw. Langzeitarbeitslosigkeit?” – und nicht “Wie können wir die Jugendlichen umpolen?” (Mascha Join-Lambert).

Zur Beantwortung einiger Rückfragen: Im kurzen Impulsbeitrag wurde manches “Schwarz-Weiß” dargestellt. Die Jugendlichen aus Hartz-IV-Familien sollten nicht abgewertet werden – in der Tat müsste viel mehr Zeit für einzelnen Jugendlichen aufgebracht werden. Und in den Jobcentern wäre oft ein anderer Umgang mit den Jugendlichen angebracht. Die Schwierigkeit besteht aber darin, dass die Jobcenter Gesetzesvorgaben umsetzen und die Mitarbeiter bestimmte Effizienzvorgaben erfüllen müssen (“in welcher Zeit wurde dieser und jener Einzelfall in Arbeit vermittelt…”). Wenn die Vermittlungsprozesse zu lange dauern, dann gilt das betroffene Jobcenter als schlechtes Jobcenter. Diese Evaluierungs- und Erfolgskriterien können zu einem etwas ruppigen Umgang führen. Die Schreiben des Jobcenters können oft gar nicht “netter” und “individueller” abgefasst werden können, weil es bundesweite Formularvorgaben gibt, zur besseren rechtlichen Absicherung bzw. um Klagen zu vermeiden. Außerdem: Auch schlecht bezahlte Jobs können sich u.U. “lohnen”, weil der Lohn vom Jobcenter bis zur Höhe des gesetzlichen Existenzminimums aufgestockt werden muss. Ansonsten darf das Jobcenter nicht alle beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen fördern, sondern nur solche, die “arbeitsmarktlich relevant” sind (Jörg Bindheim).

Nach dem deutschen Sozialstaatsprinzip muss das Existenzminimum immer sichergestellt werden, selbst dann, wenn man sich dem Arbeitssystem entzieht, wodurch man sich allerdings auch der Gesellschaft entzieht. Infolge der langen neoliberalen Phase sind viele sozialstaatliche Errungenschaften zur Bändigung des Kapitalismus eingeschränkt worden (z.B. arbeiten inzwischen ca. 1/3 der Beschäftigten in Teilzeit, Leiharbeit, befristet oder prekär bzw. außerhalb sozialversicherungsrechtlich abgesicherter sog. Normalarbeitsverhältnisse). Inzwischen wird diese Politik aber wieder teilweise korrigiert – vgl. Mindestlohn, Lohngleichstellung bei Leiharbeit bzw. Zeitarbeit, verstärkter Einfluss der Gewerkschaften, um tarifvertragliche Regelungen für bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Die Reformdiskurse zur Veränderung der Arbeitswelt müssen weitergehen – etwa in Richtung von weniger Lohnarbeit bei mehr Eigenarbeit und Selbstversorgung; vgl. dazu die von Fritjof Bergmann angestoßene soziale Bewegung für “neue Arbeit, neue Kultur” (Ursula Klingmüller).

Es bringt wenig, pauschal von der beruflichen Integration “der Jugendlichen” zu sprechen. Mit jedem Jugendlichen sollte ein individueller Jugendhilfeplan mit präzisen Zielen und mit konkreten Schritten und Maßnahmen konzipiert und schrittweise abgearbeitet werden. Alle Jugendlichen müssen die Möglichkeit bekommen, die eigene Lebens- und Erwerbsbiografie kontinuierlich weiter zu entwickeln und real umzusetzen. Jugendliche werden oft durch mehrere verschiedene Förderinstitutionen und -maßnahmen geschickt – und wenn sie in einem Projekt gerade erfolgreich Fuß gefasst haben, ist dieses schon wieder beendet, die Jugendlichen landen dann wieder beim Jobcenter und werden in ein neues Projekt vermittelt, wodurch Abbrüche, Misserfolge und Frustrationen vorprogrammiert werden. Außerdem sollten die Fördereinrichtungen und Maßnahmeorte angenehm und nicht hässlich sein (weil etwa kein Geld da ist). Demgegenüber wurden die Laskerhöfe der GfbM gemeinsam mit den Jugendlichen zu einem Ort um- und ausgebaut, wo sie gerne hingehen. Es geht um die Stärkung der Würde des Menschen – und auf dieser Grundlage können die jungen Menschen echte Perspektiven entwickeln! (Louis Kaufmann)


Die postindustriellen Realitäten im Land Brandenburg

Da Potsdam aufgrund seiner Geschichte als Militär- und Verwaltungsstandort und in der Nachwendezeit als Landeshauptstadt und Wissenschaftsstandort nur wenig Anschauungsmöglichkeiten für die De-Industrialisierungsprozesse, Strukturwandel und Abwanderung bietet, wurde nach Nahzielen gesucht, an der diese Prozesse in Form einer Besichtigung deutlich gemacht werden können. Die Wahl fiel aus mehreren Gründen auf Brandenburg an der Havel. Einer davon ist der eklatant hohe Unterschied in der Arbeitslosenquote: Brandenburg / Havel hat z. Zt. eine Arbeitslosenquote von 11,7%, Potsdam dagegen von 7,1% – Es liegen 50 km bzw. 20 min Fahrtzeit mit der Deutschen Bahn zwischen den Städten…

Brandenburg ist die älteste Siedlung Brandenburg / Preußen mit einer großen Bedeutung für die Gesamtentwicklung der Region Brandenburg in der Geschichte. Gleichzeitig war Brandenburg einer der bedeutendsten deutschen Industriestandorte.

Vor über 100 Jahren wurden die heute fast vergessenen „Brennabor-Werke“, die damals größte Fahr­ radfabrik des Kontinents, für viele Jahrzehnte zum wichtigsten Arbeitgeber mit der später erweiterten Produktpalette von Fahrrädern, Motorrädern, Automobilen bis hin zu Kinderwagen. Auch die Adam Opel AG war hier angesiedelt und baute in der damals modernsten Automobilfabrik Europas bis in die 1940er Jahre hinein Lastwagen der Marke „Blitz“. Ab 1912 begann mit der Errichtung des Stahl- und Walzwerks durch Rudolph Weber die enge Verknüpfung der Stadt Brandenburg an der Ha­ vel mit der Metallindustrie, die zu Zeiten der DD R zu der schon fast synonymen Verwendung der Be­ griffe Stahl und Brandenburg führte. … Der Standort Brandenburg-Kirchmöser wird seit 1920 von der Bahnindustrie geprägt, als die Betriebe der Deutschen Reichsbahn die Industrieanlagen der ehemali­ gen Pulverfabrik übernahmen und erweiterten: Brandenburg an der Havel ist eines der großen indus­ triellen Zentren im Land Brandenburg, wo auf oft industriegeschichtlich historischem Grund zahlrei­che Firmen produzieren und ihre Dienste anbieten.“24

Umso größer war der wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische „Einschlag“ , als sich mit der Wende 1990 herausstellte, dass der größte Teil der Betriebe weder von den Produkten noch von der Produktionsweise her gesehen auf einem globalisierten Markt konkurrenzfähig war.

Nur wenige metallverarbeitende und technologieorientierte Betriebe haben es bis in die 2000er Jahre geschafft, sich in Brandenburg zu behaupten, die zudem vorwiegend sehr spezialisierte Arbeitsplätze bieten, die einen hohen Qualifikationsgrad erfordern. Von seiten der Landesregierung wurde außer auf Hochtechnologie25 auch verstärkt auf die Wirtschaftsfaktoren Tourismus, Bildung und Kultur gesetzt. So etablierte sich die technisch orientierte FH Brandenburg sehr schnell auf einigen Spezialgebieten, das Archäologische Landesmuseum für das ganze Land Brandenburg wurde im ehemaligen Pauli-Kloster neu aufgebaut und die ganze Region Westbrandenburg / Havelland mit der Stadt Brandenburg als Mittelpunkt bwwarb sich erfolgreich um die Ausrichtung der Bundesgartenschau 2015.

Die Fahrt nach Brandenburg beinhaltete folgende Programmpunkte:

  • Begleitete Stadtrundfahrt mit kurzen (aufgrund der Zeiten, die für die Überset­zungen nötig waren)Erläuterungen zum Stadtbild, zur Wirtschaftsgeschichte und zur Bedeutung von Bran­denburg in den vergangenen Jahren.
  • Besuch der Dominsel mit Innenbesichtigung
  • Besuch des Industriemuseums Brandenburg, einem restaurierten Teil des ehemaligen Stahl- und Walzwerkes, mit Führung.
  • Besuch des Fonte-Clubs, dem größten soziokulturellen Zentrum Brandenburgs, das zu DDR-Zeiten vom Kulturbund unterhalten wurde und heute Spielstätten für ein freies Theater, ein Pro­grammkino, Gastronomie u.a. beherbergt.

Stadtrundfahrt:

Während einer kurzen Rundfahrt konnten die Teilnehmer einen ersten Einblick in die Brüche der Brandenburger Geschichte bekommen. Vom spätmittelalterlichen Stadtkern über verlasse­ne Industriegebiete, unsanierte Wohnblöcke und leerstehende Quartiere und Gewerbeflächen bis hin zu aufwendig modernisierten Wohn- und Tourismusstandorten spiegelte sich auf kleinstem Gebiet die Entwicklung der Stadt, ihr Aufstieg und Niedergang, wider.

Leider blieb die Stadtführung von ihrer Qualität her weit hinter den Erwartungen zurück. Trotz ausführlichen Beratungen im Vorfeld und der Vermittlung der Stadtführerin über die kommunale Touris­musagentur in Brandenburg waren nur wenige fachliche Informationen zum Thema zu bekommen, auch erwies sich es als schwierig, die Zeiten für die dreisprachigen Übersetzungen und Rückfragen im Bus in Einklang mit der Route zu bringen. Kurze Zwischenstopps an der Dominsel, der Brandenburger Neustadt und alten und neuen Industriebetrieben sowie der FH Brandenburg wurden aber trotzdem von den Teilnehmern gut genutzt, um sich über die aktuelle Situation in Brandenburg zu informieren.

Besuch der Dominsel:

Leider musste die geplante Führung durch den Dom vorzeitig abgebrochen werden, weil aufgrund einer Unwetterwarnung das gesamte Gebäude für den Besucherverkehr gesperrt wurde. Diese mittlerweile sehr ungünstige Wetterlage mit Sturm und Regen ließ zudem nur einen kurzen Spaziergang über die Dominsel zu, dem ehemaligen geistigen und politischen Zentrum Brandenburgs. Es wurde aber deutlich, dass hier der Mittelpunkt des ältesten Teils der aufwendig sanierten Altstadt Brandenburgs liegt, ein Kultur-, Kunst- und Tourismuszentrum, mit Ausstellungen, Konzerten, Anlegemöglichkeiten für Schiffe und Wohnmobilstellplätzen – ein attraktiver Ort, durch dessen touristische Aufwertung zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen werden konnten.

Besuch des Industriemuseums:

Im Industriemuseum Brandenburg wurde die Gruppe von einem sehr kompetenten und besucherorientierten Team von ehemaligen Mitarbeitern des Stahlwerkes empfangen.

Während eines kurzen mehrsprachigen (!) Videofilms konnten die Teilnehmer sich über die Geschichte und vor allem über die Bedeutung des Stahlwerkes für die ganze Region Brandenburg informieren. Der Unterschied zwischen dem modernen, architektonisch kunstvoll eingefügten Besucherzentrum mit seinen Bildschirmen und Ausstellungsflächen und der eigentlichen Museumsfläche mit den Werkstät­ten und dem Hochofen wurde hier als Beispiel für die Verbindung von einstiger und heutiger Produktionsweise und Arbeitsplätzen wahrgenommen.

Das Industriemuseum selber besitzt den letzten Siemens-Martin-Ofen, der in Westeuropa erhalten ist. Dieser Ofen ist der Mittelpunkt des Museums, das die Entwicklung der Stahlproduktion und -verarbei­ tung dokumentiert. Die schiere Größe der Anlage und der dazugehörigen Werkstätten ermöglichte einen zugleich bedrückenden und zur Diskussion auffordernden Anreiz: Wie mag es hier ausgesehen haben, als pro Schicht mehr als 1000 Menschen gearbeitet haben? Wie schwer war die Arbeit wirklich? Wie haben die jungen Lehrlinge, die in den 1920er Jahren z.T. nur 15 Jahre alt waren, gelebt? Und vor allem: Wo und wie arbeiten die Menschen, die bis 1993 hier tätig waren heute? Und deren Kinder?

Das Museum hat genau diese Fragen, die die Gruppe beim Besuch und z.T. auch noch lange danach be­schäftigte, als Forschungsauftrag: „Das Stahl- und Walzwerk Brandenburg 1914 – 1993 – Dieser Zeit­raum war durch fünf Gesellschaftsordnungen geprägt. Sie setzten mit ihren sozial-ökonomischen und politischen Ausrichtungen für das jeweilige Stahl- und Walzwerk den Rahmen, der mal größere, mal kleinere Spielräume für die Unternehmens- und Betriebsentwicklung bot. … Ein Anliegen des In­dus­triemuseums ist die Erforschung der Geschichte des Stahlstandortes Brandenburg, nicht nur mit ihren technologisch-technischen und wirtschaftlichen, sondern auch den sozialen und politischen Aspekten. Diesbezüglich stehen wir jedoch noch ganz am Anfang“26.

Die Teilnehmer der Gruppe interessierten sich vor allem für die Biografien der ehemaligen Arbeiter. In einem Teil der Ausstellung wurden einige von ihnen porträtiert.27

Bei Kaffee und Kuchen wurden dann schnell Parallelen zum heutigen Arbeits- und Ausbildungsalltag gezogen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten festgestellt und immer wieder die Frage gestellt: Wo sol­len die Menschen, die hier einst Arbeit fanden und nur eine kurze oder gar keine Ausbildung hatten, heute Arbeit finden? Wie sollen sie bei prekären Beschäftigungsverhältnissen, die es heute oft in der Indus­trie und bei kleineren Fertigungsbetrieben gibt, eine Familie ernähren können, wie es einem Stahlwer­ker durchaus möglich war?

So wurde die Ausstellung zu einem Anlass, über das Verschwinden von Arbeitsplätzen durch die Industrialisierung, Lohngefälle, fehlende Ausbildungsplätze für Geringqualifizierte in der Industrie, die inzwischen globalisierte Stahlproduktion und das Hochlohnland Deutschland und natürlich auch über die individuellen Perspektiven der Jugendlichen ins Gespräch zu kommen.

Aufgrund der Wetterlage musste leider der geplante Spaziergang von der Brandenburger Alt- zur Neu­stadt ausfallen. Der Tag klang aus mit einem Besuch des soziokulturellen Zentrums „Fonte“, einem gelungenen Beispiel, wie in einer oft als strukturschwach klassifizierten Region Kultur trotzdem stattfin­den und sogar noch wirtschaftlich arbeiten kann. Bei einem Abendbüffet wurden die vielfältigen Eindrücke des Tages in den einzelnen Ländergruppen zusammengefasst und ausgewertet.

Freitag, 6.12.2013

Für diesen letzten Tag unserer internationalen Bildungs- und Begegnungswoche planten wir die

-Erarbeitung von vier Themenfeldern durch die Teilnehmerinnen das Abschlussplenum und die Pressekonferenz).

Zum Abschlussplenum, auf dem nochmals viele der in der Woche angesprochenen Aspekte zur Sprache kommen konnten, hatten wir auch Pressevertreter eingeladen. Die Projektgruppe hatte sich bereits frühzeitig dafür ausgesprochen, eine möglichst partzipative Form für den Abschluss zu erarbeiten, weil in der Projektwoche alle Beteiligten auch Teilnehmer waren – eine trinationale Begegnung war alle Neuland, ob Studierender, Jugendlicher oder Dozent an der Hochschule. Um den Abschluss bereits frühzeitig in den Fokus zu nehmen, wurde von der Vorberei­tungsgruppe folgender Ablauf erarbeitet: Vier Themenfelder aus dem Bereich der Jugendberufshilfe sollten mithilfe eines Fragenbogens möglichst niedrigschwellig, d.h. lebensweltorientiert und mit einfacher Methodik, bereits am Anfang der Woche allen Teilnehmern bekannt gemacht werden. Diese Themen sollten während der Woche sozusagen „immer mitlaufen“. Damit ist ge­meint, dass Besuche, Gespräche, Diskussionen auch mit der „Brille“ dieser vier Themenfelder betrachtet werden sollten. Aufgrund der Fülle der Eindrücke und der vielfältigen Themen, die sich durch die Be­ gegnungen und Besuche ergeben haben hatten, konnten diese vier Themen im Laufe der Projektwoche nicht immer den Stellenwert bekommen, wie er in der ursprünglichen Planung vorgesehen war.

Zur Vorbereitung und Auswertung der Woche wurden dann am Freitagvormittag vier Projektgruppen gebildet, die jeweils eines der Themen anhand von Leitfragen und mit mehreren kreativen Methoden vertiefend diskutierten. Jede Gruppe sollte ein eigenes Abschlussstatement verfassen, um darin ihre zentralen Erkenntnisse und Forderungen zusammenzufassen. Die verschiedenen statements sollten dann den Kern des Abschlussplenums und der Pressekonferenz darstellen.

Anmerkung zum Ablauf: Die Gruppenarbeiten, das Abschlussplenum und die Pressekonferenz sollten in den Räumen der FH Potsdam stattfinden, dort war die aufwendige Simultandolmetscheranlage aufgebaut. Der geplante Ablauf ließ sich aber leider nicht vollständig umsetzen. Aufgrund einer extremen Wetterlage am Freitagvor­mittag mit Orkanböen und Schneeverwehungen mit entsprechenden Folgen, vor allem an der FH Pots­dam (umgestürztes Baugerüst, Strom- und EDV-Ausfälle, kompletter ÖPNV-Ausfall, Unfälle in der Nähe der FH) war es zunächst nur ca. der Hälfte der Teilnehmenden und Besucher (Dolmetscher, Pressevertreter, FH-Vertreter) mög­lich, pünktlich anwesend zu sein. Auch die Arbeitsfähigkeit des Teams war dadurch stark beeinträchtigt. Das gesamte Programm musste deshalb um knapp zwei Stunden verschoben und vor allem stark ver­kürzt werden.

Zusammenfassung Gruppen- und Plenumarbeit

Im Laufe der Projektwoche waren folgende Themenfelder in verschiedenen Zusammenhängen bearbeitet worden:

  • Verhältnis Sozialarbeiter-Jugendliche (Klienten) im Kontext der Jugendberufshilfe
  • Kultur und Begegnung – Menschen aus drei Ländern begegnen sich
  • Arbeitsmarkt und Politik – Was hat eigentlich mein Job damit zu tun?
  • Studien- und Ausbildungssysteme im Internationalen Vergleich.

Die Methoden, Inhalte, Umsetzungen und Reflexionen der vier Themenfelder werden bei der Zu­sammenfassung der einzelnen Tagesaktivitäten ausführlich dargestellt.

Zu den thematischen Fragebögen zur Vorbereitung der Gruppenarbeiten für die Pressekonferenz

Methodik:

Hinter den vier Themen stand jeweils ein Mitglied der studentischen Projektgruppe. Zu den einzelnen Themenfelder entwickelten die zuständigen Studie­renden jeweils drei Fragen, die sie für besonders relevant hielten und von deren Be­antwortung sie sich vielversprechende Informationen und somit Grundlagen für das Abschlussplenum und die Pressekonferenz erhofften. Diese Fragen wurden vorab in die beiden Landessprachen übersetzt, so dass sowohl für die Befragung am Montag als auch für die Abschlussgruppenarbeit am Freitag jeder Teilnehmende gut verständliche Fragen vorfand, ohne dass große Verluste beim Inhalt durch sprachliche Schwierigkeiten zu befürchten waren.

Mit der Methodik, am Anfang und am Ende der Projektwoche schriftlich und mündlich über dieselben Fragen ins Gespräch zu kommen, hat die Projektgruppe einen Wunsch bzw. eine Zielstellung verbunden: Eine vertiefte Reflektion, ein Angebot an die Teilnehmenden, sich mit bestimmten Themen in der Woche näher auseinanderzusetzen, aber vielleicht auch die Feststellung, ob die Besuche und Pro­jektaktivitäten dabei geholfen haben, diese Themen besser bearbeitbar zu machen. Es sollten nicht Antworten gegeben werden, aber vielleicht neue Fragen gestellt oder alte Frage in einen neuen Kontext gestellt werden.

Anwendung und Auswertung:

Bereits am ersten Projekttag, dem Montag, waren die Teilnehmenden mit den von uns intendierten o.g. inhaltlichen Schwerpunkten der Projektwoche bekanntgemacht worden. Anhand des in den drei Sprachen vorliegenden Fragebogens (s. Anhang) sollten sie zu einigen vertiefenden Aspekten Gedankenanstöße zum Weiterarbeiten bekommen. Dieser Fragebogen sollte weniger im Sinne einer qualitati­ven Evaluation benutzt werden, er wurde auch nicht mit dem Anspruch zur Erhebung statistisch repräsentativer Daten eingesetzt. Er sollte vielmehr als Anregung zum Weiter­denken und Weiterarbeiten für die Teilnehmenden dienen und dem Vorbereitungsteam einen Überblick über die Interessenlagen und Kenntnisstände sowie die Beobachtungen, die die Teilnehmenden während der Projekttage machen konnten, geben. Die Fragen dieser Feedbackbögen wurden durch die Projektgruppe also nicht empirisch unter­ sucht oder /und nach wissenschaftlichen Standards evaluiert.

Aus diesem Grunde hat sich die Projektgruppe auch entschlossen, keine ausführliche Auswertung im Sinne der klassischen Sozialforschung zu versuchen, sondern an dieser Stelle nur in Über­blicksform die beantworteten Fragen wiederzugeben. Die Musterbögen finden Sie im Anhang.

Die Fragen des Fragebogens:

Im folgenden werden die Fragen des Fragebogens vom Montag vorgestellt. Im Anschluss wird eine überblicksmäßige, nicht repräsentative Auswertung (s.o.) versucht.

Themenfeld 1: Verhältnis Sozialarbeiter – Jugendliche (Klienten) im Kontext der Jugendberufs­ hilfe

  • Wo haben Sie heute ein Beispiel für eine Zusammenarbeit von Jugendlichen und Sozialarbeitern erlebt (ggf. ohne Namensnennung)?
  • Stellen Sie eine Vermutung an, wie das Verhältnis der beiden zueinander war!
  • Was davon würden sie gerne an ihren Arbeits- oder Ausbildungsplatz zuhause mitnehmen?

Themenfeld 2: Kultur und Begegnung – Menschen aus drei Ländern begegnen sich.

  • Für welchen Aspekt eines fremden Landes (D, PL, F) konnten Sie sich heute besonders begeistern?
  • Welche Ideen und Wünsche an die Gruppe haben Sie?
  • An welchem Ort haben Sie sich heute unwohl gefühlt?

Themenfeld 3: Arbeitsmarkt und Politik – Was hat eigentlich MEIN Job damit zu tun?

  • An welchem Arbeitsplatz, den sie heute kennengelernt haben, möchten Sie gerne arbeiten?
  • Was und wer hindert sie daran?
  • Wo wurde heute deutlich, wie Politik Einfluss auf Arbeitsplätze hat?

Themenfeld 4: Studien- und Ausbildungssysteme im internationalen Vergleich

  • Welche wichtigen Eigenschaften braucht man, um einen der heute vorgestellten Berufe zu lernen?
  • Was muss man in Ihrem Land dafür können?
  • Gibt es Inhalte der Ausbildung, die sich unterscheiden?

Da die Fragebögen am Montagabend ausgefüllt wurden, geht es in den Antworten vor allem um die konkreten Beobachtungen bei dem Träger GfbM und den Projektbesuchen am Vor- und Nachmittag.

Zum Themenfeld 1 (Verhältnis Sozialarbeiter-Jugendliche): Die Teilnehmenden beobachteten die Zusammenarbeit von Jugendlichen und Sozialarbeitern u.a. in der Auto- und Holzwerkstatt der GfbM und im „Zentrum“ (hier ist wahrscheinlich das Jugendzentrum „Blueberry Inn“ gemeint). Diese Zu­sammenarbeit wurde als offen, vertraulich, verständnisvoll, gut oder hilfsbereit beschrieben. Die Ver­mutung ist, dass besonders die sogenannten „soft skills“ den Jugendlichen ins Auge gefallen sind und für sie eine besondere Wichtigkeit darstellten. „Die Auszubildenden sahen zufrieden aus mit ihrer Aus­ bildung. Wenn sie es jedoch nicht wären, hätten sie es uns sagen können?“ –Zitat eines Teilnehmen­den. Auch bei der Frage, was davon die Teilnehmenden gerne mit an ihren Arbeits- und Ausbildungs­platz nehmen würden, gab es viele Übereinstimmungen bei den Antworten. Der Wunsch nach Sozialar­beitern an Berufsschulen bzw. in der beruflichen Ausbildung wird mehrmals genannt. Ebenso werden auch hier wieder die besagten „soft skills“ angesprochen. So gibt es Wünsche nach einem Verhältnis zwischen Sozialarbeitern und Jugendlichen, das von Nähe, Einsatz und Motivation geprägt ist. Ebenso werden Werte wie Disziplin, Wille und Respekt gefordert. Ein Problem gab es anscheinend mit der Fra­ge: „Für welchen Aspekt eines fremden Landes konntest du dich heute besonders begeistern?“ Hier wurde nur eine Antwort gegeben: deutsch lernen. Alle anderen Teilnehmer beantworteten die Frage nicht. Evtl. wurde sie nicht oder falsch verstanden. Umso zahlreicher waren die Antworten auf die Fra­ge nach Ideen und Wünsche an die Gruppe. Besonders häufig gab es Nennungen, die das Gruppenge­fühl und gegenseitige Kennenlernen betreffen, z.B. Zusammensein, auf jeden Acht geben, kennenler­nen.

Aufgefallen sind drei Antworten, die sich auf das Autoritätsverhältnis der Jugendlichen und der Sozial­arbeiter bzw. Anleiter in den Werkstätten beziehen. Hier wurde beobachtet, dass Sozialarbeiter geant­wortet haben, obwohl Fragen an die Jugendlichen direkt gestellt wurden. In eine ähnliche Richtung geht die Beobachtung, dass es kein Beispiel für eine Zusammenarbeit gegeben hätte: „Die Leute haben zusammen gearbeitet, aber nicht zusammengearbeitet (sic).“ Auf einem weiteren Bogen wurde die be­obachtete fehlende Kommunikation zwischen Sozialarbeitern und Jugendlichen angemerkt.

Zum Themenfeld 2 (Menschen aus drei Ländern begegnen sich): Zwei Befragte gaben an, sich nicht unwohl gefühlt zu haben. Mehrfach wurde jedoch genannt, dass ein Wechsel innerhalb der Kleingruppen Unwohlsein auslöste bzw. die Tatsache, dass man sich eine Kleingruppe nicht selbst aus­ suchen konnte. Andererseits gab es zwei Antworten, die eine stärkere Mischung der Kleingruppen wünschten, um noch mehr miteinander ins Gespräch zu kommen und einen stärkeren Austausch über einzelne Positionen zu ermöglichen. Mehrere Teilnehmende haben sich in den öffentlichen Verkehrs­ mitteln unwohl gefühlt. Als interessanten Aspekt eines fremden Landes wurde die deutlich wahrnehm­bare Verschiedenheit der vorwiegend schulischen Ausbildung in Frankreich und Polen und der praxis­orientierten bzw. dualen Ausbildung in Deutschland wahrgenommen

Zum Themenfeld 3 (Arbeitsmarkt und Politik): Hier wurde zweimal die GfbM als Arbeitsplatz (Ju­gendliche) und Sozialarbeiter als Berufswunsch genannt, einmal wurde das Kinder- bzw. Jugendzen­trum erwähnt sowie je zweimal der Lernladen Neukölln und das Blueberry Inn.

Zur Frage nach dem Hinderungsgrund für den Wunscharbeitsplatz: Zwei Personen gaben an, dass sie nichts daran hindert, ihren Wunschberuf zu ergreifen, einmal wurden die fehlenden Arbeitsplätze für Sozial­arbeiter an Berufsschulen in Frankreich genannt. Einzelne Nennungen gaben als Grund die Gleichstel­lung in Frankreich an und, dass ein Beruf mit mehr Kreativität gesucht wird. Als Abschluss des The­menfelds wurde nach dem Einfluss der Politik auf die Arbeitsplätze gefragt. Vier Befragte antworteten nicht auf diese Fragestellung. Eventuell wurde die Frage nicht konkret genug formuliert oder nicht richtig verstanden. Zwei Nennungen beschäftigten sich mit dem finanziellen Einfluss der Politik auf Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Bei der Thematik der Studien- und Ausbildungssysteme im internatio­nalen Vergleich fielen ähnlich wie im ersten Themenfeld wieder die sogenannten „soft skills“ auf, wie Verständnis für Probleme, Empathie oder Interesse an Jugendlichen. Einzelne Teilnehmende meinten, dass Kreativität erforderlich sei und man wissen müsse, was man will. Auffallend war, dass vier­ mal das Vorhandensein von Geld als Voraussetzung für die vorgestellten Berufe genannt wurde. Auf die abschließende Frage nach den Inhalten der Ausbildung in den einzelnen Ländern gab es zweimal die einfache Antwort „Ja“. Deutlich wird in den übrigen Antworten, dass die unterschiedlichen Berufs­ bezeichnungen und Inhalte in den verschiedenen Ländern eine große Rolle spielen. Einzelne nennen Sprachkurse für Migranten als Unterschied und den professionellen Einsatz der Sozialarbeiter sowie deren Einsatz an (Berufs-)Schulen.

Gruppenarbeit und Abschlussplenum – Ablauf und Inhalte

Als ein größerer Teil der Teilnehmenden und des Projektteams eingetroffen war (s.o.: Anmer­ kung zum Ablauf) stellten die studentischen Mitglieder der Projektgruppe ihre Themen vor. Alle anwesenden Teilnehmenden wurden gebeten, sich interessengeleitet einer Gruppe zu­ zuordnen. Eine Herausforderung für die Gruppenleiter war, eine Mischung aus allen Teilnehmergruppen (sowohl Länder als auch Gruppenzugehörigkeiten zu ermöglichen. Eine weitere Herausforderung war, die nicht für alle Gruppen und für alle Sprachen gleichermaßen verfügbaren beiden professionellen Dol­metscher und zusätzlichen studentischen Dolmetscher möglichst effektiv einzusetzen.

Ziel der Gruppenarbeit sollte es sein, wie auch im Wochenplan angegeben, einen Vorschlags- und For­derungskatalog zur Realisierung von “guter Praxis” in Maßnahmen der Jugendberufshilfe zu erarbei­ten, der an freie Bildungsträger und an die öffentliche Verwaltung (in den Ländergruppen) adres­siert sein sollte.

Die Gruppenarbeit wurde jeweils durch ein Mitglied der studentischen Projektgruppe als Moderator_in begleitet und strukturiert. Hierbei wurde mit zwei Methoden gearbeitet: Kleingruppenreflexion mit strukturierter Gruppendiskussion und anschließende Präsentation im Plenum, bei der darauf geachtet wurde, dass Studierende und Auszubildende im Wechsel ihre Statements einbringen und ihre eigenen Erfahrungen schildern konnten.

Zur Strukturierung der Gruppenarbeiten angesichts des insgesamt knappen Zeitbudgets wurde im Vorfeld ein Diskussions-, Methoden- und Arbeitsleitfaden erarbeitet, der hier kurz wiedergegeben wird:

Leitfaden für Gruppenarbeit:

  • Erläuterung des geplanten Ablaufs, Auswahl von zwei Gruppensprechern. Ziel: Gruppe hat Re­ präsentanten, der sie beim Abschlussplenum vertritt.
  • Austausch von Eindrücken – was ist aufgefallen, was ist wichtig (themenbezogen!). Ziel: Mög­ lichst frei erzählen – Betroffenheit, Begeisterung, Erlebnisse sollen zum Ausdruck kommen
  • Vorgegebene Satzanfänge vervollständigen: Ziel: Fokussierung auf Wesentliches, Hilfestellung beim Formulieren von Wünschen, Zielen und Forderungen an Politik, Gesellschaft, …, Zeiter­ sparnis aufgrund der immer mitzudenkenden dreifachen Übersetzung. Trotzdem Raum für Diskussionen geben, aber eben im Rahmen des Themas.
  • Mögliche Satzanfänge könnten sein (situativ entscheiden bzw. selber den Schwerpunkt der Gruppenar­beit erarbeiten):
  • Wir fordern, dass die Politik…
  • In Europa muss sich für die Jugendlichen … ändern, weil …
  • Chancen für Jugendliche mit Schulschwierigkeiten – es gibt …
  • Sozialarbeiter sind wichtig für Jugendliche ohne Arbeit, …
  • An den Hochschulen sollte das Thema Jugendarbeitslosigkeit …

Ergebnisse der Gruppenarbeiten – Abschlussplenum

Themenfeld 1: Verhältnis Sozialarbeiter – Jugendliche (Klienten) im Kontext der Jugendberufshilfe

In der Kleingruppenarbeit mit dem Thema „Die Rolle der Sozialarbeiter_innen“ fanden sich jeweils Tandems mit jeweils zwei Vertretern aus zwei Ländergruppen zusammen, um sich gemeinsam über die internationale Rolle von Sozialarbeiter_innen auszutau­schen. Dabei waren zwei professionelle Dolmetscherinnen (französisch, polnisch) anwesend und übersetzen die Diskussion.

Anfangs wurden die Berufsrollen in den jeweiligen Ländern kurz von den Studie­renden beschrieben und Einzelmerkmale herausgestellt (z.B. spezielle Foki innerhalb des Studiums). Im Anschluss wurden die geschilderten Rollenbilder mit den in den anderen Ländern vorherrschenden Rollenbildern verglichen, woraus sich eine rege Diskussion entwickelte. Die Auszubildenden nah­men dabei eine besondere Rolle ein, da sie die beschriebenen Funktionen aus ihrer eigenen Praxis mit der Realität abgleichen und manche der geäußerten theoretischen Vorstellungen und Ansprüche in Frage stellen konnten.

In der Kleingruppenarbeit zeigte sich eine bunte Vielfalt verschiedener Herangehensweisen an die So­ ziale Arbeit einschließlich des jeweiligen Umgangs mit Klient_innen, sowie des damit korrespondierenden unterschiedlichen Selbstverständnisses. Gerade durch den Abgleich des theoretischen Anspruches mit der Realität wurden verschiedene Perspektiven beleuchtet und hinterfragt. So konnte festgestellt werden, dass in allen drei Ländern vor allem der zeitlich begrenzte Spielraum in der sozialarbeiterischen Praxis zu quali­tativen Einschränkungen in der Beziehungsarbeit mit den Klient_innen führt und somit auch der theoretische Anspruch der Hilfe zur Selbsthilfe oft nicht oder nur teilweise gewährleistet wer­ den kann. Dieses Problem besteht in allen drei Ländern.

Als es um die Rollenwahrnehmungen ging, wurde schnell klar, dass besonders in Deutschland das Studium der Sozialen Arbeit sehr generalistisch strukturiert ist, während in Frankreich und Polen schon am Beginn der Studienzeit eine Fest­legung auf bestimmte Handlungsfelder und Zielgruppen der sozialen Arbeit erfolgt.

Der Abgleich mit der Realität, besonders fokussiert von den Auszubildenden, sorgte bei den Studierenden für Erstaunen. Es wurde kritisiert, dass die rechtlichen und sozialpolitischen Rahmenbedingungen oft zu einer schlechten Personalausstattung und zu überbürokratisierten Arbeitsweisen führen, die eine qualitativ gute persönliche Hilfeleistung erschweren oder verhindern.

Als positiv wurde der persönliche Umgang mit den Klient_innen benannt. Trotz der unzurei­chenden Zeitressourcen schaffen es die Sozialarbeiter_innen, den verschiedenen Auszu­bilden­den eine kompetente Beratung zu bieten und als dauerhafte Ansprechperson für die Auszubil­den­den in Erscheinung zu treten.

Von allen gleichermaßen wurde jedoch gefordert, den Sozialarbeiter_innen mehr Spielraum für die eigentliche Arbeit mit den Klient_innen zu bieten und die bürokratischen Aufgaben weitestgehend aus­zulagern.

Am Rande wurde auch die niedrige Entlohnung diskutiert, welche ebenfalls in allen Län­ dern gleich schlecht bilanziert wurde.

Alles in Allem konnte durch die Kleingruppendiskussion ein differenziertes Bild der Rolle, Funktion und des Theorie-Praxis Vergleichs dargestellt werden. Die Teilnehmenden waren mit ihrem abschließenden Fazit zu einem gemeinsamen Nenner gekommen und hatten ein gemeinsames Anliegen vor Augen.

Themenfeld 2: Kultur und Begegnung – Menschen aus drei Ländern begegnen sich.

Die Gruppe bestand aus jeweils einem Jugendlichen und einem Studierenden aus den drei Ländern sowie einer Professorin aus Frankreich. Zur Unterstützung waren zwei studentische Dolmetscher anwesend. Durch die kleine Gruppe, die klare Aufgabenstellung und die kompetente Übersetzung kam schnell ein leb­hafter Austausch zustande. Zunächst wurde in lockerer Form über die in der Woche erlebten kulturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten diskutiert. Diese wurden oft in Form von Stereotypen be­schrieben. Ein wichtiger Aspekt war dabei die Art und Weise, mit der die Organisation und Durchfüh­rung der Studienwoche angegangen wurde.

Den deutschen Teilnehmenden wurde zugeschrieben, dass sie die Neigung hätten, ihre vorgefertig­ten Pläne sehr strikt einzuhalten. Weiterhin wurde ihnen ein großes Maß an Verantwortungsbewusst­sein in Bezug auf die Gruppe attestiert. Dieser Eindruck könnte teilweise auch durch den Umstand er­zeugt worden sein, dass die deutschen Teilnehmenden eine Doppelrolle als Teilnehmer und Organisa­toren hatten und daher in vielen Fällen Verantwortung übernehmen mussten. Die Franzosen gaben über sich selbst an, dass sie weniger stark an Plänen orientiert sind, wobei sie manchmal gerne so organisiert wären wie die Deutschen. Über die polnische Gruppe wurde geäußert, dass diese weniger an der Umsetzung von Plänen interessiert wären, sondern ein großes Interesse an einem guten zwischen­mensch-lichen Verhältnis in der Gruppe hätten.

Weiterhin äußerten die ausländischen Teilnehmer Erstaunen darüber, wie bunt und vielfältig ihnen Berlin erschien. Dies stand im Widerspruch zu ihrem früheren stereotypen Deutschland-Bild.

Insgesamt wurde die Meinung geäußert, dass dieses Projekt enorm dazu beigetragen habe, kulturelle Barrieren einzureißen. Im Rahmen einer interkulturellen Begegnung würden die Vorurteile im per­sönlichen Kontakt schnell in den Hintergrund treten. Zwar stelle das Zusammenleben und -arbeiten von Menschen aus drei verschiedenen Kulturen die Gruppe immer wieder vor Schwierigkeiten, diese konnten aber überwunden werden.

Die Teilnehmenden äußerten, dass sie in der Woche gelernt hät­ten, mit kulturellen Unterschieden besser umzugehen. Wichtig war dabei ihrer Meinung nach auf die Person hinter den Vorurteilen zu schauen. Viele Vorurteile konnten abgebaut werden (wenn auch nicht alle, wie die Teilnehmenden selbstkritisch anmerkten). Die Teilnehmenden waren der Meinung, dass die Woche für sie persönlich eine Bereicherung darstellte und Lust darauf gemacht hätte, mehr über andere Kulturen zu erfahren.

Als weiteres Themenfeld wurde die Sprachbarriere und ihre Aus­wirkung auf die Gruppe diskutiert. Dabei wurde die Meinung geäußert, dass die unterschiedlichen Sprachen der Teilnehmenden, vor allem auf der persönlichen Ebene, kein Problem waren. Die Kommu­nikation hätte erstaunlich gut geklappt, da es eigentlich immer Personen gegeben hätte, die beim Übersetzen geholfen haben. Selbst der Umstand, dass man sich manchmal „durchwurschteln“ musste, wurde eher als gutes Erlebnis empfunden. Die Sprache war nach Ansicht der Teilnehmenden vor allem auf der technischen und fachlichen Ebene ein Problem. Fachdiskussionen waren oft schwierig. Die pro­fessionellen Dolmetscher wurden dabei als sehr hilfreich wahrgenommen. Zum Abschluss der Runde wurde noch der Satz „Wir fordern, dass die Politik…“ von der Gruppe vervollständigt: „Wir fordern, dass die Politik die Menschen verbindet und sich mit den Problemen der echten Menschen beschäftigt. Daher schlagen wir den Politikern in Europa vor, selbst so eine Woche (in einem Hostel) zu erleben.“ Die Gruppe charakterisierte die Politiker als abgehoben und zerstritten. Sie war der Ansicht, dass eine interkulturelle Begegnungswoche auch bei Politikern zum Abbau von Vorurteilen und zum besseren Verständnis der Probleme der Menschen in Europa führen könnte.

Themenfeld 3: Arbeitsmarkt und Politik – was hat eigentlich MEIN Job damit zu tun?

Im Themen­feld 3 kristallisierte sich in der Diskussion heraus, dass der Schwerpunkt der Beobachtungen und Er­lebnisse bei den äußerlichen Rahmenbedingung für Bildung, Ausbildung und Soziale Arbeit in den einzelnen Ländern liegt. Durch die Teilnehmer wurden selbständig und nach ihren jeweiligen Ländern sortiert folgende Probleme und Fragenkomplexe angesprochen

Frankreich: Einige Schulen sind zu teuer und können nicht von allen besucht werden (in Bezug auf be­rufliche Bildung), Forderung: kostenloser Schulbesuch. Ein großer Themenblock war die Entschei­dungshoheit über Finanzierung und Inhalte sozialer Projekte. Es wurde durch die Teilnehmenden mehr Handlungsfreiheit und weniger direktives Eingreifen des Staates bei den Projekten der Sozialarbeiter gewünscht, es wurden mehr alternative Projekte und neue Modelle gewünscht, gerade im Umgang mit schwierigen bzw. schulfernen Jugendlichen ohne Berufsausbildung. Das Thema Partizipation der Ju­gendlichen bei Entscheidungen über ihre eigene Zukunft, über Inhalte und Formen ihrer Ausbildung wurde als vorrangig betrachtet. Der Merksatz hier war: Neue Wege finden – weniger Staatsraison.

Polen: Hier war vor allem das schwierige wirtschaftliche Umfeld der Sozialarbeiter wichtig. Auf der einen Seite wurde sehr deutlich, dass es bei einigen Berufen hohe Zugangshürden gibt (Beispiel Kran­kenpflege: Drastischer Mangel an Krankenpflegern, gleichzeitig muss für den Berufsabschluss (zwin­gend vorgeschrieben für die Arbeit mit Patienten) in Polen ein Fachstudium vorgewiesen werden).

Die se Zugangshürden schließen viele Jugendliche, die durchaus gute praktische Fähigkeiten haben, vom Berufsleben aus. Gleichzeitig gibt es aber kein wirksames Hilfe- und Unterstützungssystem für den ein­zelnen Jugendlichen in schwierigen Lebenssituationen, um ihm beim Erlangen dieser Zugänge (bzgl. guter Schulnoten für die Zulassung zum Studium) zu helfen. Ein zusätzliches Hindernis bil­den die unzureichenden ÖPNV-Verbindungen zwischen den Wohnorten und den in den Städten konzentrierten Schulen. Der Merksatz hier war: Berufe öffnen – Einstiege erleichtern. Die Sozialar­beitsstudierenden in Polen äußerten vor allem Sorgen um ihre berufliche und wirtschaftliche Situation. Es gibt zu wenige Stellen für sie und kaum Aufstiegschancen. Die Bezahlung ist im Vergleich zu anderen akademischen Berufen sehr viel schlechter, viele versuchen Arbeit in anderen westeuro­päischen Ländern zu bekommen, oft fachfremd. Der Merksatz hier war: Mehr Sozialarbeiter für Polen!

Deutschland: Hier waren vor allem die Arbeitsbedingungen für die Sozialarbeiter Thema. Die Ausbil­dung wird als gut eingeschätzt, auch gibt es ausreichend Arbeitsplätze, wenn auch am geringsten be­ zahlt im Vergleich zu allen anderen Akademikern. Sorgen macht vor allem die überbordende Bürokratisierung der eigenen Tätigkeit. Ein großer Teil der eigentlich für die Beglei­tung der Jugendlichen vorgesehenen Zeit muss für Anträge, Dokumentationen, Buchführung und das Schreiben von Kon­zepten genutzt werden. Insgesamt sind die Laufzeiten der Projekte viel zu kurz, um wirklich wirksam zu werden. Der eigene professionelle Anspruch und auch die als sehr gut eingeschätzte Aus­bildung der Sozialarbeiter gibt ihnen die Möglichkeit, ihre Arbeit „gut zu machen“ (im Sinne von: für den Klienten wirksam sein). Gleichzeitig wird das durch zuviel Bürokratie, zu kurze Förderzeiträume und zu geringe Sockelfinanzierungen (zuwenig Personalstellen) unmöglich gemacht. Der Merksatz hier war: Wir wollen die Arbeit gut machen, können es aber nicht!

Themenfeld 4: Studien- und Ausbildungssysteme im Internationalen Vergleich

Diese Arbeitsgruppe hat sich vor allem mit der Ausbildung der zukünftigen Sozialarbeiter in den drei Ländern und den dazugehörigen unterschiedlichen Systemen beschäftigt sowie mit den Eigenschaften, die ein Sozialarbeiter mitbringen sollte.

Die Ausbildung in Frankreich und Polen unterscheidet sich vor allem durch den Praxisanteil, der in Frankreich wesentlich höher ist (in Frankreich 1000 Stunden). Gleichzeitig gibt es hier die Schwierig­keit, Plätze für Praktika zu bekommen. Eine Studentin berichtet über bis zu 40 Absagen bei Bewerbungen. Deswegen sind Studenten gezwungen, sich in Bereichen zu bewerben, die ihnen eigentlich nicht liegen und so den Schwerpunkt ihrer Ausbildung anders zu setzen. Die Ausbildung in Polen dagegen ist an eine feste Einrichtung gebunden, um dort den Praxisteil zu absolvieren.

Von Studierenden beider Länder wird die geringe Verzahnung von Theorie und Praxis in der Ausbil­dung bemängelt. Von den anwesenden Studierenden und Jugendlichen wurden außerdem viele gewünschte Eigenschaften eines Sozialarbeiters, beschrieben, so z.B.:

  • Spagat zwischen professioneller Distanz und Empathie
  • sich der eigenen Vorurteile bewusst sein
  • Disziplin in der täglichen Arbeit, Einhalten von Routinen und Abläufen
  • Offen für persönliche Entwicklungen sein, Dinge in Frage stellen können
  • Großzügigkeit bei Fehlern
  • Eigene Erfahrungen nutzen, um Entscheidungen anderer besser verstehen zu können

Von den Studierenden und Jugendlichen wurde angemerkt, dass das Verhältnis der Theorie zur Praxis im ganzen Bildungsprozess nicht stimmt, das betrifft sowohl die vorwiegend schulische Ausbildung der arbeitslosen Jugendlichen als auch die Vorbereitung der Studierenden auf die spätere Praxis. Eigene Ideen und kreative Problemlösungen würden oft durch Regeln und Vorschriften ausgebremst, so­ wohl im Lernprozess als auch im Beruf später. Vor allem die französischen Studierenden und Jugendli­chen bemängelten die direktiven Ausbildungswege, mit wenigen Wahlmöglichkeiten und Freiraum zur Selbstentwicklung.

Es wurde von beiden Gruppen mehr Reflexion / Supervision gewünscht über das Lernen an sich und die Inhalte – „Warum tun wir das eigentlich, was wir gerade tun?“

Plenum und Abschluss

Im abschließenden Plenum wurden von den Gruppensprechern die Ergebnisse (s.o.) mit einigen kur-zen Erläuterung vorgetragen und zur Diskussion gestellt. Die Simultanübersetzungsanlage bot auch hier eine große Arbeitserleichterung, weil ohne Zeit- und inhaltliche Verluste alle Teilnehmer der Diskussion folgen konnten. Die Moderation übernahm Herr Prof. Buck. Zum Abschluss wurden die Gesamtergebnisse des trinationalen Austauschs durch dessen Initiatorin Frau Mascha Join-Lambert zusammengefasst. Ihre darauf basierende Ausarbeitung fin­den Sie weiter unten. Danksagungen und Wünsche für die zukünftige Zusammenarbeit schlossen das Plenum ab.

Zur abschließenden Pressekonferenz waren insgesamt über 15 Print- und sonstige Medien aus dem lo­kalen und überregionalen Bereich sowie einige Vertreter von Verbänden (z.B. Stadtjugendring Pots­dam u.a.) schriftlich und z.T. persönlich eingeladen worden. Leider gab es zeitliche Überschneidungen mit anderen Terminen in vielen Redaktionen, so dass nur zwei Medienvertreter (Märkische Allgemei­ne Zeitung – Wissenschaftsredaktion und FraPo – Freies Radio Potsdam) den Termin in der FHP wahr­nehmen konnten. Zwei weitere Vertreter entschuldigten sich im Laufe des Vormittags aufgrund der Wetterlage (s.o.). Ein Interview mit der Lokalzeitung Potsdamer Neueste Nachrichten sowie ein Radio­interview fan den aufgrund von Terminüberschneidungen in den Redaktionen bereits im Laufe der Projekt­wo­che statt. Grußworte vom Stadtjugendring Potsdam und anderen angeschriebenen Verbänden wurden bereits im Vorfeld der Pressekonferenz dem Team zugesandt.

Das Team war trotzdem über das doch insgesamt gute Medieninteresse am Thema über­rascht. Dies hat dem Team, auch und gerade in den Gesprächen mit den Medienvertretern ge­zeigt, dass das Thema Jugendarbeitslosigkeit auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird und mit der Öffnung Europas neue Hoffnungen und Chancen zur Zusammenarbeit und für gemeinsame Lernprozesse verbunden sind.

Der Nachmittag konnte in Kleingruppen zum Besuch „denkwürdiger Orte“ in Potsdam und Berlin ge­ nutzt werden. Hierzu gab es ein umfangreiches Informationspaket mit zuvor vom Vorbereitungsteam ausgearbeiteten inhaltlichen und organisatorischen Hinweisen. Die verschiedenen Aktions- und Erkundungsvorschläge sollten zugleich zu neuen interkultu­rellen Erfahrungen anregen, z.B. bei der Fortführung des Stadtspiels vom Mittwochvormit­tag in Pots­dam oder beim gemeinsamen Einkauf in einem typischen türkisch-arabischen Berliner Su­permarkt zur Vorbereitung des Abschlussessens. Da die Wetterlage leider immer noch wenig Aktivitä­ten drau­ßen er­laubte, wurden die vorbereiteten Angebote noch ergänzt um die Möglichkeit von Besu­chen im Historischen Museum in Berlin.

Am Abend trafen sich alle Teilnehmenden im, freundlicherweise von der GfbM zur Verfügung gestellten, Lascafé in der Laskerstraße. Im Laufe des Nachmittags hatte die Projektgrup­pe dort ein Buffet mit internationalen Spezialitäten, aus einem türkisch-arabischem Supermarkt, auf­ gebaut. Der Abend diente dazu, der Woche einen angemessenen und auch entspannten Abschluss zu geben und den Teilnehmenden die Gelegenheit zu bieten, in einem lockeren Rahmen das Erlebte zu verarbeiten sowie die neugewonnen Freundschaften zu pflegen. Es wurden von verschiedenen Teil­ nehmern kurze Reden gehalten, Geschenke ausgetauscht und auf die erfolgreiche Woche angestoßen. Dann machten sich alle über das leckere Buffet her. Anschließend gab es die Gelegenheit, in gemütli­cher Runde bei einem Bier die Woche auch über Ländergruppen hinweg Revue passieren zu lassen. Ei­nige besonders Abenteuerlustige schwangen sogar das Tanzbein. Um Mitternacht verließen alle das Café und machten sich auf den Weg ins Hostel beziehungsweise ins Friedrichshainer Nachtleben .

1Alle Infos zur Regenbogenfabrik zusammgestellt nach dem Internetauftritt: http://www.regenbogenfabrik.de/index.html (abgerufen am 13. Juni 2014) und weiteren informellen Quellen wie Broschüren und mündlichen Informationen der Mitarbeitenden vor Ort.

2S. a. Infos zur „Solidarischen Ökonomie“ bei ATTAC, AG Solidarische Ökonomie: http://www.attac-netzwerk.de/ag-solioeko/

3s. Bericht und Selbstdarstellung des Trägers im Anhang des Projektberichtes.

4Das Sven-Walter-Institut ist eine Ausgründung der GfbM zur Förderung des Kultur- und Sprachverständnisses mit besonderem Schwerpunkt auf ausbildungsferne Jugendliche. Weitere Informationen s. Internetauftritt des Sven-Walter-Institutes: http://sven-walter-institut.GfbM.de/

5 Bzw. Qualifizierungsbaustein bei Jugendlichen ohne jeglichen Schul- oder Berufsabschluss.

6Dabei handelt es sich um eine gemeinnützige Einrichtung, die in den Räumen der GfbM von den Jugendlichen selber unter Anleitung von Lehrausbildern und Pädagogen betrieben wird und öffentlich genutzt werden kann.

7Weitere Informationen zu diesem Konzept finden Sie auf der Internetseite der Lernläden im Lernnetz Berlin: http://www.lnbb.de/lernlaeden/neukoelln/

8Weitere Informationen zum Blueberry Inn finden Sie auf der Internetseite des Trägers „outreach“ mit der Selbstdarstellung: http://outreach6.spinnenwerk.de/~outreach0815/unsere-projekte/blueberry-inn.html

9Für weitere Informationen über das Konzept s. http://www.kunstquartier-bethanien.de/geschichte_bethanien.html

10Weitere Informatioen zu diesem Träger finden sie auf der Internetseite mit der Selbstdarstellung: https://www.gsub.de/, abgerufen am 12.6.2014.

11Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage von John Webb: http://www.lifeworkplanning.de/angebote-lwp/foyer/index.html

12Weitere Informationen zur Ausstellung finden Sie unter: http://www.art-in-berlin.de/incbmeld.php?id=3025

13Allgemeine Informationen zum Träger finden Sie hier: http://www.verein-aib.de/

15Eine kurze deutschsprachige Information dazu finden Sie auf dem Portal des Deutschen Bildungsservers: http://www.bildung-weltweit.de/explica.html?a=46&sp=0

16Eine kurze Selbstdarstellung des Betriebes „Vom Bollerwagen zum Großunternehmen“ finden Sie auf der Firmenhomepage unter: http://www.horst-lehmann.de/index.php/de/unternehmen/story. Letzter Abruf 15.6.2014.

17 Weitere Informationen s.a.: http://www.waldhaus-potsdam.de/

18Ein großer, verglaster Raum unterhalb der eigentlichen Räume der FH Potsdam in der Friedrich-Ebert-Straße, in dem sich früher ein Bekleidungsgeschäft befand. Die FH nutzt diese Räume gelegentlich für größere Veranstaltungen.

19Seit dem Sommersemester 2010 entstehen immer neue interdisziplinäre Lehrveranstaltungen, die die Chance bieten, Fragestellungen, Methoden und Herangehensweisen unterschiedlicher Fachdisziplinen kennenzulernen und zu erproben. Gleichermaßen Lehrende wie Studierende sind regelmäßig aufgefordert, sich mit Ideen für interdisziplinäre, an Wissens- und Technologietransfer orientierte Lehrveranstaltungen an InterFlex zu beteiligen. Eine Auswahlkommission, in der Lehrende und Studierende aus allen Fachbereichen gleichberechtigt beteiligt sind, bewertet die Anträge und wählt die Projektideen aus, die über InterFlex gefördert werden.“ S.a. http://interflex.fh-potsdam.de/about , abgerufen am 16.6.2014.

20Eine ausführliche Dokumentation der Diskussion liegt in Form eines Mitschnittes der professionellen Simultanübersetzer vor.

22 s.a.: ttp://www.bpb.de/apuz/30939/arbeitslosigkeit-als-zentrale-dimension-sozialer-ungleichheit-essay?p=all , abgerufen am 12.4.2014

24Vgl. u.a.:http://www.wirtschaftsregionwestbrandenbur­ g.de/fileadmin/downloads/user_upload/Standortbroschuere.pdf

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